RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
Tuch aus meinem Armen ziehe, das ebenfalls Erna für mich organisiert hat, danke ich ihr in meinem Herzen noch einmal und verlasse die Latrine mit einem halbwegs sauberen Tuch, da wo es hingehört.
Alle drei Wochen müssen wir uns auch am Sonntag, dem einzigen Tag, der ein wenig Ruhe bringt, aufstellen und zu einem anderen Teil von Auschwitz-Birkenau marschieren, um uns dort rasieren zu lassen.
„Ausziehen! Schnell! Schnell!“ Die SS schreit uns an, als wären wir taub. Die ausgezogenen Kleider legen wir auf einen Haufen. Manchmal stehen wir stundenlang splitternackt da, der Witterung ausgesetzt oder im Luftzug. Unsere jüdischen Männer, Gefangene, die Befehlen gehorchen, warten auf uns mit der Schere in der Hand. Die Schlange zum Rasieren ist lang, aber ich denke, verglichen mit all dem anderen Grauen, ist das gar nicht so grauenhaft.
Das ist nicht das Schlimmste, was uns in Auschwitz-Birkenau widerfährt. Es ruft keine Alpträume hervor aber es ist etwas Beständiges, wie alles, was die Deutschen tun. Alle drei Wochen, wie ein Uhrwerk.
Unsere eigenen Jungs, unsere eigenen Männer sind gezwungen, unsere Blö ss e zu sehen, gezwungen, unsere Köpfe, unsere Arme, unsere Beine, unsere Schamhaare zu rasieren. Manchmal sind sie Freunde, manchmal sind sie Verwandte; Mütter werden von ihren eigenen Söhnen rasiert, Schwestern und Brüder müssen diese Beschämung erleiden. Danka und ich haben Glück. Wir treffen niemanden, den wir kennen.
Warum können sie uns nicht gegenseitig rasieren lassen? Wir sind junge Frauen, Jungfrauen; es verstö ss t gegen unsere Religion, uns selbst vor unseren Ehemännern zu entblö ss en. Das ist nicht lebensbedrohend, aber es ist erniedrigend. Noch eine Erniedrigung, die sie uns abverlangen.
Die deutschen Offiziere marschieren auf und ab und inspizieren uns, als wären wir interessante Exemplare ihrer Insektensammlung. Ein wunderschönes Mädchen wird unentwegt von ihnen angestarrt. Sie trägt ihr Kinn hoch, den Blick gesenkt. Obwohl sie kahl ist, sieht sie umwerfend aus. Wie wütend es machen mu ss , dazustehen und von diesen Mördern durch Blicke verunreinigt zu werden. Was gäbe ich nicht alles für warmes Wasser und eine Bürste, um mir die Augen der Nazis aus dem Fleisch zu waschen.
Wir schweigen in unserer Schande...
Keiner unterhält sich, und geflüstert wird wenig. Die Scheren sind schwer wie die zur Schafschur und schneiden uns ganz schnell in die Haut. Unsere Jungs, unsere Männer wollen uns nicht wehtun, versuchen, vorsichtig zu sein, aber sie müssen schnell schneiden, um unsere Augen und unsere Körper nicht sehen zu müssen, um nicht geschlagen zu werden, weil sie zu langsam, zu umsichtig, zu freundlich sind.
„Schnell! Schnell!“ Blut tröpfelt über unsere Beine und Nacken, als die SS-Männer sie antreiben. Uns tut alles weh.
Es ist so entwürdigend. Ich er trage es nicht. Ich werde zu ei nem Stück Fleisch und sch aue durch den Mann, der mich ra siert, hindurch, starre auf das andere Ende des Raums. Ich stelle die Gefühle in mir ab, bis ich nichts mehr sehe und nichts mehr empfinde. Das tue ich ganz bewu ss t. Als ich fertig bin, höre ich nur noch den Befehl zum Weitergehen, und dann ist es nur das Fleisch, das sich bewegt. Ich bin weg.
Es ist der Körper, der seine Kleider findet und hemmungslos vor Kälte, Furcht und Wut zittert, den es schüttelt, wegen der ungeweinten Tränen der Scham. Der Körper ist es, der auf die Schwester wartet. Die Fü ss e stehen in der Reihe und warten, bis man ihnen sagt, da ss sie losmarschieren sollen. Die Hand nimmt ihre Hand, und gemeinsam kehren sie ins Frauenlager zurück. Der Körper betritt den Block. Der Arm nimmt das Brot von der Raumältesten entgegen. Der Mund öffnet und schlie ss t sich beim Brotkauen - oder ist es Sägemehl? Alles schmeckt gleich. Ich wei ss , da ss ich irgend wann in den Körper zurück kehren werde, aber das braucht Zeit, und Zeit mi ss t sich an Tee, Suppe, Brot, Tee, Suppe, Brot. Wann immer es mir zu viel wird und es mich fast zerrei ss t, drehe ich meine Gefühle zu wie einen Hahn und überlasse dem Körper die Führung. Manchmal ist es mehr der Körper als der Geist, der überleben will. Das sind die Tage, an denen der Geist leer ist, und nur die Zeit wei ss , ob er jemals wieder etwas empfinden, ins Leben zurückkehren wird.
Nein, Rasieren ist nicht das Schlimmste. Es ist nicht lebensbedrohlich. Aber es ist schlimm.
Es ist Sonntag. Ich durchstreife das Lager auf der Suche
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