RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
Reihen hinter uns - das Knacken, das Schweigen. Ich blinzle. Ich verlasse meinen Körper, fliehe den Horror um uns herum. Doch ich kann nicht weit genu g weg. Ich darf mir nicht erlau ben, Danka zurückzulassen.
Endlich erlöst uns das Wort „ Wegtre ten!“ aus unse rer Bo denlage. Der Appell ist vorüber. Furchtsam erhe ben sich dieje nigen von uns, die Taubes Vorstellung von Gymnastik entsprochen haben, auf Hände und Knie und wenden die Gesichter entsetzt von den zerschmetterten Schädeln der Mädchen ab, die nie wieder aufstehen werden.
„Schau nicht hin, Danka.“ Ich führe meine Schwester von dem Mädchen weg, das neben mir liegt. Hand in Hand suchen wir Emma, stellen uns hinter ihr auf und marschieren zur Ar beit.
Hier sind Wochen wie Jahre.
Wenn der Krieg für die Deu tschen steht, bekommen wir gele gentlich ein Stück Fleisch in der Suppe oder zum Brot. Und manchmal tauschen dann die sehr orthodox-gläubigen Mädchen ihr Fleisch gegen Brot, weil sie kein unkoscheres Fleisch anfassen wollen. Ich wei ss nicht, wie sie so lange ohne Fleisch überleben können, doch sie haben etwas, was ich nicht habe: Sie haben ihren Glauben. Und ich wei ss nicht, wo mein Gott ist.
Sie klatschen uns die Portionen in die Hand. Wir lecken uns langsam die Handflächen ab, genie ss en die Margarine oder den Senf; manchmal auch ein wenig stinkenden Limburger. Die ersten paar Monate mochte ich den Senf nicht, aber jetzt schlecke ich ihn als die Köstlichkeit, die er ist. Wenn es Margarine gibt, reiben wir den Rest in unsere Hände als Creme. Die Haut an unseren Händen und Gesichtern springt bei dieser Kälte auf .
Würstchen gibt es nur als Häppchen, aber wir schlingen es hungrig runte r ; können nicht innehalten oder langsamer e ssen. Danka will es nie haben. „ Wir müs sen das essen“, sage ich ihr. „ Essen ist Essen, un d das ist alles, was wir haben.“ Und es reicht nie. Unsere Mägen schmerzen ständig. Jeden Augenblick des Tages, wachend oder schlafend, haben wir Hunger. Der ständig bohrende Hunger erschöpft uns. Bei unseren zehn und zwölf Stunden Arbeit und den Anstrengun gen, der SS zu ent gehen, bleibt wenig Energie für andere Aktivitäten. Denken wird immer unmöglicher.
Wenn der Kriegsgott nicht auf S eiten der Deutschen ist, sind wir schlechter dran. Das Brot ist nur noch Wasser und Mehl und die Portionen sind kaum grö ss er als unsere Hände. Aber in letzter Zeit sieht es so aus, als würden die Deutschen die ganze Welt besetzen, und so werfen sie uns ein wenig grö ss ere Brocken hin, wie man einem Hund einen Knochen vorwirft. Wir stürzen uns auf das Ess en, aber wir nehmen es wohl wis send, da ss dieses Stück Käse bedeutet, die Nazis sind in Holland, da ss dieses Stück Flei sch bedeutet, sie sind in Frank reich. Ich wei ss nicht, wonach ich mich mehr seh ne - nach Es sen oder Freiheit.
Es ist Sonntag. Wir liegen auf unseren Brettern und entfernen Läuse oder versuchen auszur uhen, ein paar zusätzliche Stun den herauszuquetschen. Ich säubere flink meine Nägel, ver stecke dabei die Nagelfeile in meiner Hand und schaue ins Leere.
„Stillgestanden!“, schreit unsere Blockälteste. „ Raus! Raus! Geht jetzt raus. Sofort!“
Wir hören Hasse drau ss en schreien: „Kommt raus, ihr fau len Idioten! Es gibt Arbeit für euch! “ Verwirrt springen wir zu Boden und rennen zur Tür. Manche Mädchen balgen sich um ihre Schuhe, andere grapschen nach ihren Bechern; Danka und ich vergessen alles, denken nu r daran, Hasses Peitsche zu ent gehen. In unseren Köpfen summt es. Wir sind als erste drau ss en und stehen bereits aufgereiht, als die anderen aus dem Block geeilt kommen.
„ Ich habe meinen Becher vergessen, Rena.“ Danka zupft mich am Arm. Ich sehe mich rasch um. Hasse ist nicht da.
„ Ich hole ihn dir. “ Ich hetze zurück in den Block. Mein Herz rast, ich nehme Dankas Becher von unserem Schlafplatz und renne durch die Hintertür direkt in Hasses Arme.
Ihre Augen starren mich an. Ich werde starr. Sie hebt ihr Gewehr. Mein Herz setzt aus.
Ein Schu ss zerrei ss t die Luft.
Ich falle zu Boden. Schmutz spritzt mir auf die Kleider und hoch zur Nase. Ich spüre keinen Schmerz. Ich wünschte, ich könnte meine Schwester noch ein letztes M al sehen, ehe ich sterbe. Ich höre ein Geräusch über mir, schauderhaft kehlige Laute.
Hasse lacht. „ Da denkt diese elende Mistbiene, sie ist tot!“ Hasse lacht schallend. Ihre Fröhlichk eit hämmert mir in den Ohren. „Ich habe
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