RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
nichtet werden mu ss .
Als wir anfangs nach Birkenau kamen, lagen jeweils sechs Frauen auf einem Regalbrett; jetzt schlafen wir - von Selektionen abgesehen - zu zwölft oder mehr darauf. Wollen wir uns in der Nacht umdrehen, müssen wir uns mit den Händen hochstemmen und uns wie Schrauben um die eigene Achse drehen. Danka und ich wecken uns gegenseitig auf, wenn wir uns umdrehen wollen; es ist leichter, wenn wir beide die Lage verändern.
Es ist unvermeidlich, das Mädchen, das neben einem liegt, zu berühren. Ich bete ständig darum, da ss keine mehr neben mir stirbt - das ist ein selbstsüchtiges Gebet, das dem Wunsch entspringt, warm zu bleiben. Ich möchte nicht, da ss mitten in der Nacht ein kalter Leib seine Kälte an mich abgibt, aber das passiert immer und immer wieder.
Nach einer Selektion ist viel Platz zum Schlafen auf den Re galböden, aber die Leere in den Blocks ist gespenstisch, und die Dämonen der Nacht und die in den Gas kammern sterben den Seelen lassen uns nicht zur Ruhe kommen. Morgens wachen wir erschöpft auf und se hen die Neuankömmlinge ins La ger kommen. Wir sehen ihre Gesichter voller Entsetzen und Ablehnung, ihr ungewisses Schicksal, das ihnen auf der Stirn geschrieben steht. Sie sind verloren und verängstigt. Voller Ungewi ss heit über die Hölle, die sie betreten haben, wünschen sie sich noch, Haare zu haben, fragen sich, wohin ihre Lieben verschwunden sind. Sie meinen, wir sehen wie Verrückte aus.
Wir können nichts tun, um sie vorzubereiten - keine Orien tierungshilfen, keine Auflistun g der Dinge, auf die man achtge ben mu ss , keine Überlebensregeln. Es gibt nur Tee, Suppe, Brot - sie haben noch keine Becher. In der ersten Nacht finden sie keine Decken und suchen nach einem Schlafplatz, ohne sich darüber klar zu werden, da ss sie sich zwischen diejenigen zwängen müssen, die bereits auf den Regalen schlafen. Wieder einmal liegen wir dichter aneinandergedrängt als Heringe, zwölf pro Regalbrett.
Vier Uhr morgens.
„Raus! Raus!“
Wir hieven unsere Körper aus der Gruppe, die auf dem Brett schläft. Huschen mit unserem Tee ins Freie u nd stellen uns zum Appell auf. I n der vergangen Nacht gab es keinen Mond zu sehen, und diejenigen, die den Wunsch haben sich umzubringen, nutzen den Mantel der Dunkelheit, um den Scheinwerfern auszuweichen und zum Zaun zu laufen. Das ist Freiheit.
Ihre Gestalten sehen aus wie Tänzer, die vor den Schatten plötzlich erwachter Geister erstarrt sind. Münder, aufgerissen wie Fragezeichen, als wollten s ie uns verpflichten, Zeugnis ab zulegen über ihre Schreie, die wir in der Nacht gehört haben. Verkohlt hängen sie an den Elektrozäunen der Menschlichkeit.
Ich kann mich nicht losrei ss en vom Anblick ihrer grotesken Gestalten. Wie beneide ich sie. Was hat sie dazu getrieben, den Draht anzufassen? Was treibt mich dazu, in diesen Reihen der Halbtoten zu verweilen?
Taube schreitet unsere Reihen ab, aber heute zählt er uns nicht. Er wirkt aufgeregt, als hätte er etwas anderes im Sinn … Wir brauchen Gymnastik! Ja, Übung macht den Meis ter. Ge sunder Körper , gesunder Geist“ , wendet er sich an unsere Rei he. „Beugt die Knie!“, befiehlt er. „ Run ter! Rauf! Runter! Rauf!“ Wir beugen unsere knackenden Gelenke und stehen aufrecht, immer wieder auf und ab, wie er befiehlt. „ Zehn, und runter! Elf, und runter! “ Wir zählen im Kopf mit, versuchen, uns auf etwas anderes als unsere schwächer werdenden Beine und zitternden Oberschenkelmuskeln zu konzentrieren, zwanzig, einundzwanzig ... „ Neunundzwanzig, und runter! Drei ss ig, und runter! Knie auf den Bo den.“ Wir zögern, verstehen nicht, was er will. „Knien!“ Er zielt mit seiner Peitsche auf das Schulterblatt eines Mäd chens. Sie sinkt zu Boden. „ Legt euch hin! Köpfe run ter!“
Ich packe Dankas Hand und ziehe sie mit mir runter. „ Leg dein Gesicht rein, Danka. Be weg dich nicht. Sieh nicht hoch“ , kann ich noch flüstern, bevor mein Mund auf der Erde liegt.
Taube stapft auf unsere Reihe zu. Nasen im Schmutz, Au gen, die zu Boden starren. Seine schwarzen Stiefel gehen an uns vorbei. Seine Stiefel bleiben stehen. Nur nicht atmen. Ein Mädchen neben uns hebt ihren Kopf. Aus dem Augenwinkel sehe ich ihr nach Luft schnappendes Gesicht. Der Stiefel fällt auf ihr Gesicht, stö ss t es tief in den Boden. Schädelknochen, die zermalmt werden, erschüttern die Luft. Mir ist speiübel. Er geht weiter. Ich mu ss einfach auf das Geräusch hören. Ein paar
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