RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
und Himmel auseinanderzuhalten.
Wir arbeiten schweigend und schnell. Jede zittert vor Angst. Wir hören nicht auf zu arbeiten , es gibt nicht einmal eine Pau se im Rhythmus unseres Grabens.
„1716.“ Ich drehe mich Emmas Stimme zu, ohne ihr Ge sicht sehen zu können. „Nimm das.“ Ich gehe vor dem Schlag in De ckung, aber statt dessen fällt mi r ein Stoffetzen in die Hände. „ Wisch dich ab. “ Ohne ein weiteres Wort kehrt Emma auf ihren Posten zurück.
Ich stütze mich einen Moment auf meine Schaufel und wische mir den Schmutz und das Blut aus Augen und Gesicht. Die Schluchzer in meiner Brust sind eine Qual für meine blau geschlagenen Rippen. Ich bin so durcheinander, eine elende Mistbiene, wie sie mich nennen. Ich mühe mich, die aufgewühlten Gefühle, die in meinem Innern hochsteigen, in Zaum zu halten. Meine Schläfen klopfen, mein Mund schmerzt. Ich kann nicht schreien, nicht n ur wegen der Arbeit, sondern we gen der Schmerzen. Der Schmerz wäre zu gro ss , wenn ich nur einen Seufzer laut werden lie ss e. Statt dessen beschlie ss e ich, an Emma zu denken. Schlagen mu ss te sie mich, um ihre eigene Haut zu retten; doch der Fetzen sagt mehr als alle Worte, die sie je zu mir sprechen wird. Ich konzentriere mich wieder aufs Graben, trotze der Sommers onne, versuche, den Schmerz weg zudenken.
Wir arbeiten. Die Frau, die meiner Mutter so ähnlich sieht, beobachtet mich den ganzen Nachmittag. Emma sieht darüber hinweg, da ss ich nicht so hart arbeiten kann, wie ich es norma lerweise tue. Sie lä ss t die Peitsche über unseren Köpfen knallen und handelt schroff, aber in dieser Hitze arbeitet die Gruppe langsam, und die älteren Frauen schaffen diese harte Arbeit nicht. Ich ertrage den Schmerz so gut es geht, aber es tut weh, wenn ich atme und aufrecht ste he. Endlich ist es Zeit, ins La ger zurückzumarschieren. Der Zwei-Kilometer-Marsch ist eine Qual für sich. Ich konzentriere mich darauf, den Schmerz zu zerstreuen, aber allein das Einatmen geht mir an die Rippen, als hätte ich ein Messer in der Lunge.
Das Marschorchester spielt , doch innerlich sterbe ich hun dert Tode und höre nur den Trauergesang: Für mich ist alles vorbei. Emma stellt sich neben das Orchester, als ihr Kommando durch das Tor marschiert.
„Warte hier.“ Sie zieht mich heraus. Meine Augen tref fen sich mit Dankas Augen: E s ist ein schweigendes Lebwohl. Das Orchester spielt mir das Entsetzen in die Ohren, ic h schreie vor Schmerz und mu ss doch stehenbleiben, wissend, da ss ich in ein paar Stunden tot sein werde, wissend, da ss ich meine Schwester zum letzten M al d urch das Tor des Todes habe mar schieren sehen - wissend, da ss ich mein Gelübde nicht gehalten habe, wissend, dass ich gescheitert bi n. Ich darf meine müden Füsse nicht bewegen. I ch darf meinen Kopf nicht umdrehen . Starr nach vorne schauend, als ein Komman do nach dem an deren hereinmarschiert, nehmen meine Augen keine einzelnen Gesi chter wahr. Manche, die noch Kraft haben , etwas wahrzunehmen, sehen mich dort; doch keine hat die Kraft, sich um mich zu kümmern. In ihren Augen bin ich verdammt, eine weitere Gefangene, die auf ihr Todesurteil wartet. Man braucht sie nicht daran zu erinnern, wie zerbrechlich unser aller Leben ist.
Zum ersten M al in sechzehn Monaten Gefangenschaft wün sche ich mir, innerhalb der Tore von Birkenau zu sein und neben meiner Schwester zu stehen, um gezählt zu werden, dies jedenfalls bedeutet, da ss ich lebe. Von au ss erhalb der Tore sehe ich zu, wie sie mit dem Appell anfangen, entfernt von aller Wirklich keit. Ich ents chwebe meinem Körper und sehe hinab auf ein Meer von Menschen, die zur Sklaverei verdammt sin d, und wünsche mir, ich w äre unter ihnen.
Der Himmel i s t dunkel. Ich hin allein. Selbst das Orchester hat mich verlassen.
D i e Tür zum Büro geht auf und Emma kommt heraus, Ihr Kopf leuchtet im Licht, das von drinnen kommt. Ihr Haar wird grau.
„Geh ins Lager“, sagt sie sachlich. Unsicher bewege ich mich davon, voller Angst, dass sie scherzt. „Verschwinde“, befiehlt sie mir und fügt dann kaum hörbar hinzu, „und sieh zu, dass du morgen zum Appell erscheinst.“
„Ja, Emma. Das werde ich, Emma.“ Ich gehe durch die To re, verschwinde im Lager, um mich den Reihen geknech teter Frauen und Mädchen anzuschliessen . Man hat mich beim Appell erfasst . Ich lebe.
Danka wartet mit trä nenverschmierten Wangen vor dem Block. „ Rena? “ Wir fallen einander in die Ar me. „ Ich war mir sicher, da ss
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