RENAS VERSPRECHEN (German Edition)
Wunde macht dich krank, nicht dein Magen.“ Sie schlürft langsam ihren Tee, hält immer wieder inne, als kämpfte sie gegen den Drang, sich übergeben zu müssen. Ich decke sie zu, ehe ich mich vor der Tür der Blockältesten anstelle.
„Salbe für eine Wunde.“ Ich gebe ihr mein Brot.
„ La ss mich mal sehen, was ich habe.“ Sie nimmt mein Brot und verschwindet. Ich warte, versuche dabei von meinem Platz aus Danka im Bli ck zu behalten. Meine Beine werden müde vom Stehen, und so kauere ich mich gegen die Wand und war te. Die Tür geht auf. Der Licht schein fällt heraus auf die Dun kelheit des jetzt schlafenden Blocks. Die Blockälteste gibt mir auf einem Stück Papier einen Batzen Salbe und macht dann die Tür vor mir zu.
Sanf t wasche ich Dankas Wunde aus. „Werde ich davon sterben?“, will sie wissen.
„ Ganz und gar nicht. Es ist wirklich nicht so schlimm, Dan ka. Doch ich wei ss , da ss es weh tut. “ Worüber ich mir wirklich Sorgen mache, ist eine Infektion, eine Narbe, eine Selektion. Die Wunde selbst wird sie nicht umbringen, ihre Wirkung kann das aber wohl. Ich unterdrücke diese Ängste, die meine Aufmerksamkeit und meinen Einfallsreichtum behindern. Als ich ihr die antiseptische Salbe auf die St irn reibe, versichere ich ihr: „ Mor gen bekommen wir mehr.“
Vier Uhr morgens.
„Raus! Raus!“
Mein Magen knurr t den ganzen Tag . Die Suppe schwappt in meinem Bauch wie ein Wellenmeer ohne Halt. Danka ist geschwächt, und ich wei ss , da ss ihr der Kopf schmerzt, doch sie schafft es zu arbeiten. Ich tausche mein Brot gegen Salbe für ihre Wunde und gehe dann hinaus zu den Latrinen. Bei den Latrinen werden Information ausgetauscht und Dinge gehandelt. Ich vermisse Erna, wünsche mir, ich hätte jemanden zum Reden, je manden, der meine Last mit mir teilt. „ Hast du schon gehört? “, flüstert ein Mädchen neben mir. „ Es wird eine gro ss e Selektion geben. Sie wollen im Lager gründlich aufräu men.“ Eine andere Stimme bestätigt die In formation. „Wir sind zu viele.“
Benommen gehe ich zurück in den Block. Wie einen Kinderreim, der mir im Kopf sing t, höre ich immer und immer wie der das Gerücht: Es wird eine gro ss e Selektion geben, wir sind zu viele. Wie ein Stich, an dem ich nicht kratzen kann, hi ss t sich die Nachricht in mein Schweigen. Es ist ein unheil verkün dendes Geheimnis, eine unerträgliche Bürde. Fast wünsche ich mit; sie hätten es mir nicht gesagt. Die Sorge über Dankas Narbe geht mir an die Substanz. Man wird sie aussortieren, wenn sie die Wunde sehen, und sie hei lt zu langsam. Mir dreht sich der Kopf, bis ich alles und gar nichts mehr denke.
Wir marschieren hinaus mit Emma, doch die Arbeit wird wie das Wetter immer schlimmer. Es ist unser zweiter Herbst. Wir bekommen nicht frei, wenn es regnet oder schneit, das wei ss ich inzwischen. Sie werden immer dastehen und z usehen, wie wir uns abmühen, Ziegel zu schleppen, zu graben, zu bau en. Wir kehren von der Arbeit zurück, und unsere Hände und Fü ss e sind von der ständigen F euchtigkeit und Kälte immer auf gesprungen; wir warten darauf, gezählt zu werden, warten auf unseren Tee, unser Brot, arbeiten ständig - warten ständig.
Die SS ist aufgeregter als sonst. Sie schwingen ihre Peitschen und Knüppel noch häufiger, schlagen uns grundlos. Die Arbeitskommandos werden strenger und härter. Es ist, als versuchten sie bereits diejenigen auszusondem, die es bei der nächsten Selektion ohnehin nicht schaffen wür den. Ic h sehe mir die Reihen und Reihen von Frauen an, die mein Schicksal teilen. Noch nie habe ich das Lager so voll gesehen. „ Wir sind zu viele. “ Ich frage mich, was die Nazis wohl emp finden mö gen, wenn sie uns nicht schnell genug umbringen können, in dem sie uns zu Tode arbeiten, ic h frage mich, ob sie überhaupt etwas empfinden.
Die SS schreitet unsere Reihen ab, zählt die Abendmannschaft , vermerkt, wer während des Tages zusammengebrochen und wer gestorben ist. Schweigen fällt auf die Reihen von Mädchen herab. Dr. Mengele ist ins Lager gekommen. Wir wissen, wer er ist, es sind Gerüchte über ihn im Umlauf. Er steht vor uns, der glorreiche Engel der Verdammnis. Schwer zu glauben, da ss jemand, der so gut aussieht, die Dinge tun kann, die man ihm nachsagt.
E in SS-Mann weist einen Teil unserer Reihen an, sich von der Hauptgruppe zu trennen. Danka und ich sind in der Gruppe, die beim Anwesenheitsappell von den anderen abgesonde rt wir d. Dr. Mengele wandert
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