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Renate Hoffmann

Renate Hoffmann

Titel: Renate Hoffmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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leise.
    Silvia dachte kurz nach, dann antwortete sie, „Ich glaube Biologie...“ Eine Weile sagten beide kein Wort. Silvia musterte Frau Hoffmann von der Seite, dann fragte sie, „Wie alt bist du eigentlich?“
    Frau Hoffmann richtete sich auf. „Warum willst du das wissen?“, fragte sie verlegen.
    „Du brauchst es mir nicht zu sagen, wenn du nicht willst.“
    Frau Hoffmann lächelte. „Ich bin 34.“
    „Aber das ist doch kein Alter für das man sich schämen muss...“, sagte Silvia irritiert.
    „Wenn man sieben Jahre davon eigentlich nicht gelebt hat, dann schon...“
    „Wieso bist du so streng zu dir?“, fragte Silvia irritiert. Frau Hoffmann zuckte mit den Schultern. „Bitte nimm mir das jetzt nicht übel, Renate, aber ich glaube, du hast ein total verzerrtes Selbstbild.“ Und mit dieser Aussage hatte Silvia den wundern Punkt getroffen. Frau Hoffmann hatte nämlich nicht nur ein verzerrtes Selbstbild, im Grunde hatte sie überhaupt keines. Sie hatte aufgehört sich und ihre Vorzüge zu sehen. Sie hatte aufgehört sich selbst wahrzunehmen.
    Doch in der letzten Zeit hatte der Putz ihrer versteinerten Fassade vermehrt zu bröckeln begonnen. Und auch Frau Hoffmann spürte, dass etwas anders war, auch wenn sie nicht genau sagen konnte, was.
     
Kapitel 27  
    „Das war ein schöner Abend“, sagte Frau Hoffmann lächelnd.
    „Das finde ich auch“, sagte Silvia. „Und unter diesen Umständen ist das wirklich etwas Besonderes...“
    Frau Hoffmann legte ihre Hand auf Silvias Schulter. „Wenn ich etwas für dich tun kann...“
    „Du tust doch schon etwas...“, fiel ihr Silvia ins Wort. „Du hast mir den Abend gerettet... und nicht nur den Abend...“ Frau Hoffmann spürte, wie sich ihre Wangen rot färbten. Frau Hoffmann drückte verlegen auf den Lichtschalter im Hausgang. Sie lächelte Silvia kurz an, dann ging sie in Richtung Aufzug. Frau Hoffmanns Schritte hallten durch den steinernen Flur. „Ach, ja, und Renate?“ Frau Hoffmann lächelte in sich hinein und drehte sich um. „Überleg dir das mit Übermorgen noch mal, ja?“ Frau Hoffmann nickte widerwillig. „Lass es dir wenigstens durch den Kopf gehen... Machst du das?“ Frau Hoffmann nickte wieder, dieses Mal weniger widerwillig. „Ja, das mache ich...“
    Eine viertel Stunde später stand Frau Hoffmann in ihrem Bad. Sie begutachtete ihre Augen. Und zu ihrer eigenen Überraschung waren sie tatsächlich groß. Sie betrachtete ihr Gesicht aus den verschiedensten Winkeln, bis es ihr der Anblick ihres beige braun gemusterten Duschvorhangs unmöglich machte sich auf ihr Gesicht zu konzentrieren. Insgeheim war Frau Hoffmann froh, dass Silvia ihre Wohnung nie zu Gesicht bekommen hatte. Sie wusste nicht genau, warum, doch sie war sich sicher, dass Silvia ihre Einrichtung nicht wirklich ansprechend finden würde. Und damit hatte Frau Hoffmann zweifelsohne recht, denn im Vergleich zu ihrer Einrichtung waren ihre dunkelgrauen Kostüme nämlich durchaus geschmackvoll.
    Seit vielen Jahren hatte Frau Hoffmann keinen so schönen Abend mehr erlebt. Silvia hatte ihr von ihrem Exfreund erzählt und davon, wie sie unerwartet schwanger geworden war. Sie hatte ihr von ihren verpufften Träumen und Wünschen erzählt und davon, dass Melanie von einem Tag auf den anderen ihr Leben verändert hatte. Frau Hoffmann hatte ihr einige ihrer verpufften Träume verraten und das Zerwürfnis mit ihrer Familie angeschnitten. Sie hatte ihr erzählt, dass sie immer Medizin studieren wollte, es auch tatsächlich versucht hatte und dass sie das Studium dann hatte abbrechen müssen. Silvia hatte ihr Fotos ihrer Tochter gezeigt. Melanie hatte ihr unheimlich ähnlich gesehen. Dasselbe offene Lachen, dieselbe Ausstrahlung. Sie war wirklich ein sehr hübsches Mädchen gewesen.
    Frau Hoffmann drehte sich auf die Seite und rollte sich in ihre Bettdecke. Es erschien Frau Hoffmann grausam, dass sie diesen Abend nur erlebt hatte, weil Melanie verunglückt war. Denn wäre sie noch am Leben, hätte Silvia bestimmt nicht vom Balkon springen wollen. Es erschien so absurd, dass ihr Todeswunsch sie einander näher gebracht hatte. Und obwohl Frau Hoffmann eigentlich der Meinung war, dass es nicht abgebracht war, sich über ihre Bekanntschaft mit Silvia zu freuen, weil die Umstände einfach rein gar nichts Erfreuliches an sich hatten, war da dennoch dieses wundervolle Gefühl, jemanden gefunden zu haben, dem sie wichtig war, und der ihr wichtig war. Frau Hoffmann hatte vergessen, wie es sich

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