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Renate Hoffmann

Renate Hoffmann

Titel: Renate Hoffmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Freytag
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angefühlt hatte, jemandem wichtig zu sein. Doch in diesem Moment breitete sich ein wohliges Gefühl in ihr aus, das sie dunkel daran erinnerte, wie es gewesen war, geschätzt zu werden. Es schien langsam durch ihren Körper zu kriechen und es erfüllte sie mit Wärme und Zuversicht, zwei Dinge, die Frau Hoffmann innerlich zu streicheln schienen.
     
Kapitel 28  
    Das fasrige Stück Fleisch auf ihrem Teller roch ekelerregend. Es roch so unglaublich abartig, dass Frau Hoffmann bei jedem Atemzug Magensäure schmeckte. Die filigranen Verzierungen am Rande ihres Tellers waren von schleimigem Sekret bedeckt. Und obwohl sie versuchte es nicht zu tun, starrte sie ohne Unterlass auf die gelblich weiße Schmierschicht, durch die die Umrisse zarter rosaner Blüten hindurch schimmerte. Das monotone Summen der Fleischfliegen erfüllte die laue Luft. Die junge Frau bewegte sich nicht. Ihre Augen waren geschlossen. Doch auf ihren Wangen glitzerten noch immer milchig gelbe Tränen. Frau Hoffmanns Mund war trocken. Außer der geflockten Milch, die wie mit Wasser versetzte Mayonnaise träge in den Kristallkelchen schwamm, fand sie jedoch nichts Trinkbares.
    Ihre Hand lag noch immer auf der, der jungen Frau. Diese Berührung erzeugte die einzige Wärme an diesem trostlosen und toten Ort. Frau Hoffmann wollte aufstehen. Sie wollte diesen Ort hinter sich lassen. Doch sie wusste, dass sie die junge Frau nicht allein lassen konnte. Vielleicht auch deswegen, weil die junge Frau in Wahrheit ein Teil von ihr war.
    Sie hatte sie lange nicht gesehen. Sie hatte sie nicht sehen wollen. Doch nun, da sie neben ihr auf dem Balkon saß, konnte sie sie nicht länger ignorieren, geschweige denn alleine zurück lassen. Frau Hoffmann legte sich ihre freie Hand über Lippen und Nase. Der entsetzliche Gestank von verwesendem Fleisch legte sich auf alles wie ein schwerer schwarzer Schleier.
    Frau Hoffmann wachte zitternd auf, ihre linke Hand bedeckte ihren Mund und ihre Nase. Sie hasste diesen Traum. Sie hasste diese Intensität und die drückende Stimmung. Sie hasste den Gestank und den Anblick von Verwesung und Verfall. Alles in ihr sträubte sich gegen die Abscheulichkeit dieser Bilder, die sich in ihrem Gedächtnis einnisteten, wie Ungeziefer.
    Auf wackeligen Gelenken wankte Frau Hoffmann in ihre Küche, öffnete den Küchenschrank über der Spüle und zog ein Glas hervor. Sie füllte es mit kaltem Leitungswasser und trank es hastig leer. Hätte sie sich mit dem auseinander gesetzt, was ihr Unterbewusstsein ihr zu zeigen versuchte, wäre sie sicherlich zu dem Punkt gekommen, es endlich zu begreifen. Vermutlich hätte dies auch zur Folge gehabt, dass Frau Hoffmann zukünftig von derartigen Träumen verschont worden wäre, doch Frau Hoffmann weigerte sich mit aller Macht dagegen, sich dem zu stellen, was ihr Unterbewusstsein ihr mitzuteilen hatte. Sie wollte es nicht begreifen, sie wollte lediglich, dass es aufhörte.
    Ängstlich lag Frau Hoffmann in ihrem Bett. Sie fürchtete sich davor einzuschlafen. Sie fürchtete sich vor den Bildern und den Gerüchen und den Gefühlen. Als sie nach zwei weiteren Stunden noch immer wach im Bett lag, entschloss sie sich, entgegen ihrer Prinzipien, Schlaftabletten zu nehmen, mit deren Hilfe sie, davon war sie überzeugt, die Nacht überstehen würde.
    Eine halbe Stunde, nachdem sie die Tabletten eingekommen hatte, spürte sie, wie ihre Lider schwerer und schwerer wurden. Die Angst ließ nach und der rettende Schlaf legte behutsam seine schützenden Arme um sie. In den nächsten vier Stunden lag sie regungslos in ihrem Bett. Ihr Unterbewusstsein hatte kapituliert. Zumindest für diese Nacht.
     
Kapitel 29  
    Frau Hoffmann quälte sich aus dem Bett. Am liebsten wäre sie liegen geblieben, doch sie wusste, dass Caitlin ihr Fernbleiben als Schwäche oder Angst gedeutet hätte, und deswegen ging sie, der Müdigkeit zum Trotz, ins Bad und wusch sich ihr Gesicht mit eiskaltem Wasser. Sie schaute in den Spiegel, während das Wasser über ihr blasses Gesicht lief. Viele dicke Tropfen hatten sich in ihren Wimpern gesammelt und kullerten nach und nach ihre Wangen hinab. Frau Hoffmann spürte, wie Leben sie durchströmte. Sie war wach.
    In der U-Bahn drängelte sich ein junger Mann mit zurückgegelten dunklen Haaren durch die Menschenmassen, bis er schließlich vor Frau Hoffmann stehen blieb. Erst auf den zweiten Blick erkannte sie ihn. Sie hatte ihn bei der Konferenz am Tag zuvor gesehen. Frau Hoffmann hatte seinen schier

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