Renate Hoffmann
Hoffmann wie eine Parallelwelt oder ein seltsam schöner Traum. Es war, als wäre sie in einer verkehrten Welt angekommen, in der sie ein anderer Mensch war, doch mit Sicherheit war es nicht ihre Welt.
Der gepflasterte Vorplatz wurde von Menschenmengen überschwemmt, dann ziemlich plötzlich verschwanden die Horden in den verschiedensten Richtungen. Frau Hoffmann ging zur U-Bahn, so wie jeden Abend. Und so wie jeden Abend ging sie allein. Doch an diesem Abend spürte sie die Blicke derer Kollegen auf ihrem Rücken, die in dieselbe Richtung gingen, und sie wusste, dass sie nicht wirklich allein war. Sie spürte, dass sich an diesem Tag etwas für sie geändert hatte. Sie war nicht länger unsichtbar oder einfach seltsam, sie war zu einer von ihnen geworden, wenn nicht sogar zu einer Person, die zu kennen eine wirklich gute Sache war.
Kapitel 25
Frau Hoffmann stieg die Stufen hoch, weil die Rolltreppe nicht funktionierte. Eigentlich funktionierte diese Rolltreppe so gut wie nie, doch an diesem Abend störte es Frau Hoffmann nicht. Als sie die Straße entlang ging, stieg ihr ein angenehmer Duft in die Nase. Es roch nach knusprig frischen Brathähnchen. Frau Hoffmann schloss ihre Augen und inhalierte das knusprig salzige Aroma, das sie verströmten, dann ging sie weiter und suchte nach der Quelle des Dufts. Er erinnerte sie ans Oktoberfest und an eine Zeit, als sie das Oktoberfest noch besucht hatte. Dann, auf der anderen Straßenseite entdeckte sie den Hähnchenstand. Und dann tat Frau Hoffmann etwas äußerst Ungewöhnliches. Sie handelte spontan. Sie entschied aus einem Impuls heraus. Und erstaunlicherweise machte es ihr Spaß, einfach zu handeln, ohne groß darüber nachzudenken. Sie überquerte den Fahrradweg, drückte sich zwischen zwei geparkten Autos hindurch und huschte voller Vorfreude über die Straße.
„Lassen sie es sich schmecken“, sagte der rundliche Verkäufer freundlich. Frau Hoffmann lächelte ihn schüchtern an, bedankte sich und machte sich auf den Heimweg. Der Hühnchenduft schlängelte sich verführerisch in ihre Nase. Seit vielen Jahren hatte sie kein Hühnchen mehr gegessen. Sie dachte an die zwei Brezen, die sie in einem weiteren Anfall von spontanem Handeln erstanden hatte und freute sich wie ein kleines Kind darauf, ihren Einkauf auszupacken und bei einem schönen Film zu genießen.
Sie schlenderte durch den tristen Hof, dann plötzlich blieb sie unvermittelt stehen. Auch, wenn sie die Idee gut fand, war sie nervös. Sie ging weiter bis zur Eingangstür, atmete tief ein und klingelte. Einen Moment lang geschah nichts und Frau Hoffmann dachte darüber nach, kehrt zu machen und ihrem ursprünglichen Plan zu folgen, doch dann hörte sie Silvias Stimme. „Ja?“
Frau Hoffmann räusperte sich. „Ähm, hier ist Renate, ich...“
„Ach, du bist es!“, sagte Silvia überrascht. „Willst du rauf kommen?“ Für einen kurzen Moment war Frau Hoffmann sprachlos, weil sie es nicht gewohnt war, dass jemand sich über ihren Besuch freute. Und auch die Tatsache, dass Frau Blinker sie mit du ansprach, irritierte sie ein wenig, jedoch nicht, weil sie es unangebracht fand, oder gar unangenehm, sondern weil Frau Hoffmann keine Freunde hatte. „Renate? Bist du noch da?“
Frau Hoffmann ging näher an den Lautsprecher. „Ja, ich bin noch da...“
„Warte, ich mach dir auf...“ Im selben Moment brummte die Eingangstür und Frau Hoffmann trat ein.
„Das ist ja eine schöne Überraschung!“ Für einen kurzen Moment erschrak Frau Hoffmann über Silvias Anblick. Sie sah fürchterlich aus, doch sie strahlte, als sie Frau Hoffmann sah. „Komm rein, komm rein...“ Frau Hoffmann hielt ihre duftende Tüte hoch. „Ich habe Grillhähnchen und Brezen gekauft...“
Silvia lächelte. „Ich freue mich wirklich sehr, dass du da bist.“ Und auch Frau Hoffmann freute sich dort zu sein. Es war ein schönes Gefühl, dass es jemanden freute sie zu sehen.
Seit vielen, vielen Jahren hatte Frau Hoffmann nicht mehr mit den Fingern gegessen. Schon in ihrer Kindheit hatten ihre Eltern auf das Benutzen von Besteck bestanden. Doch an diesem Abend gab es kein Besteck. Es gab auch keine rügenden Blicke. Silvia holte eine Flasche Limonade aus dem Kühlschrank und zwei Gläser. Sie hielt die Flasche hoch. „Auch was?“, fragte sie schmatzend. Frau Hoffmann nickte. Auch dieses Szenario schien unwirklich, doch das machte nichts, denn Frau Hoffmann war mehr als nur zufrieden. In diesem Moment war sie von ganzen
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