Renate Hoffmann
schließlich seine journalistische Tätigkeit und seine unzähligen Liebschaften.
Frau Hoffmann zündete sich eine Zigarette an. Sie dachte an Herrn Hofer und daran, dass er ihr geduldig zugehört und sie getröstet hatte. Sie war sich sicher, dass auch Herr Hofer ihretwegen nicht weinen würde, doch immerhin würde er bemerken, dass sie tot war.
Frau Hoffmann drückte den Zigarettenstummel in den Aschenbecher und zündete sich die nächste an. Es schien, als wäre das unbeschreibliche Glück, das sie in ihrem Leben erfahren hatte, unweigerlich mit Henning verbunden gewesen, und als er starb, war es mit ihm gestorben. Frau Hoffmann dachte an seine dunkeln Augen. Sie dachte an die Art, wie er sie in seine Arme geschlossen hatte.
Der Durst trieb Frau Hoffmann in die Küche. Weinend öffnete sie den Schrank über der Spüle, zog ein Glas heraus und füllte es mit Wasser. Als sie wieder auf den Balkon ging, fiel ihr Blick auf den Stapel Briefe, den sie eben aus dem Briefkasten geholt hatte. Sie nahm sie an sich und setzte sich wieder nach draußen, weil sie es in ihrer an Geschmacklosigkeit kaum zu übertreffenden Wohnung nicht länger auszuhalten schien.
Zwischen den Rechnungen fand sie eine Postkarte. Auf der Vorderseite war eine riesige Wiese mit Moonblumen abgebildet. Frau Hoffmann drehte die Postkarte um und las sie. Meine liebe Renate, hieß es da, ich bin mit meiner Mutter spontan weggefahren... Ich habe noch bei dir geklingelt, aber du warst leider nicht zu Hause... Frau Hoffmann seufzte. Ich freue mich schon sehr auf unser nächstes Treffen. Und falls ich es noch nicht gesagt habe, ich danke dir für alles, was du für mich getan hast, auch wenn es dir vielleicht nicht klar ist, wie wichtig das für mich war. Frau Hoffmann lächelte. Wenn es Engel auf dieser Erde gibt, dann bist du einer davon, Renate. Alles Liebe und bis ganz bald, Silvia. Bei diesen letzten Worten brach Frau Hoffmann in Tränen aus. Sie legte die Postkarte auf den Tisch und vergrub ihr Gesicht in den Händen. Es hatte schon einmal jemanden gegeben, der ihr das gesagt hatte. Doch das lag viele Jahre zurück.
Kapitel 50
Schluchzend lag Frau Hoffmann auf ihrem Bett. Herberts Briefe lagen auf dem Kopfkissen und in der rechten Hand hielt sie ihr Telefon, das sehr verwundert darüber gewesen sein dürfte die Wärme von Frau Hoffmanns Hand zu spüren, weil Frau Hoffmann es inzwischen mehrere Jahre lang nicht benutzt hatte. Frau Hoffmann wählte die Nummer, die Herbert ihr geschrieben hatte nun schon zum elften Mal. Doch dieses Mal würde sie nicht auflegen. Dieses Mal würde sie erfahren, wie es ihrer Schwester ging. Denn sie hatte beschlossen, alles davon abhängig zu machen, ob Barbara noch am Leben war. Lebte sie, würde auch Frau Hoffmann weiterleben, auch wenn sie nicht wirklich einen Sinn darin sah. Wäre ihre Schwester bereits gestorben, würde sich Frau Hoffmann noch an diesem Abend von ihrem trostlosen, zellenartigen Balkon in den Tod stürzen.
Es klingelte. Ungeduldig klopfte Frau Hoffmann mit dem Finger auf Herberts Briefe. Als sie gerade mit dem Gedanken spielte aufzulegen und sich darüber ärgerte, dass sie für diesen Fall keinen Plan zurecht gelegt hatte, hörte sie Herberts Stimme. Er schien schon geschlafen zu haben. Frau Hoffmann schaute auf die Digitalanzeige ihres Weckers. Es war schon nach Mitternacht.
„Wer ist denn da?“, fragte Herbert verschlafen. Frau Hoffmann wollte antworten, konnte aber nicht. Sie schämte sich ihn geweckt zu haben, und plötzlich schien sie auch nicht mehr wirklich wissen zu wollen, wie es ihrer Schwester ging, weil es diese schließlich auch nie interessiert hatte, wie es ihr gegangen war. Frau Hoffmann horchte, konnte jedoch nicht sagen, ob Herbert aufgelegt hatte, oder ob er noch in der Leitung war und darauf wartete, dass sie sich doch noch zu erkennen gab. „Bist das du, Renate?“, flüsterte Herbert. Frau Hoffmann nickte, was Herbert selbstverständlich nicht sehen konnte. „Renate?“, flüsterte er ein zweites Mal. „Bist du das?“
Frau Hoffmann räusperte sich. „Ja, ich bin’s...“
„Also lebt sie noch“, sagte Frau Hoffmann nüchtern.
„Ja, sie lebt noch“, antwortete Herbert. „Und wie geht es dir?“
Frau Hoffmann wusste nicht wie es ihr ging. „Es geht mir gut“, log sie schließlich, weil sie sich wirklich nicht danach fühlte, Herbert ihr Herz auszuschütten.
„Du klingst aber nicht so gut...“, sagte Herbert vorsichtig.
„Wenn man einmal davon
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