Renate Hoffmann
wenig glaubhaft. „...ich kann dir das nicht sagen, sonst ist es doch keine Überraschung mehr...“
Renate musterte Herbert eindringlich. Sie wusste, dass er sie soeben angelogen hatte. Sie wusste, dass deren Gespräch rein gar nichts mit einer Überraschung zu tun gehabt hatte. Und wenn es tatsächlich um die Hochzeit gegangen war, dann sicherlich nicht, weil Barbara eine heimliche Idee ausheckte, um ihr eine Freude zu machen, sondern, weil sie ihm die Hochzeit auszureden versuchte. „Es ist ein beruhigendes Gefühl, dass du mich niemals anlügen würdest...“, sagte Renate und legte ihren Kopf auf Herberts schmale Schulter. „Bei jedem anderen, würde ich mir Gedanken machen, aber bei dir weiß ich, dass du immer ehrlich zu mir bist...“ Herbert schluckte. Sie wusste, dass er darunter litt, es ihr zu verschweigen, doch sie wusste auch, dass er noch mehr fürchtete, dass auch nur ein Wort seiner Unterhaltung mit Barbara ans Licht kommen könnte. Und in dem Augenblick, als Herbert seine Arme um Renate legte, wusste sie, dass er ihr niemals erzählen würde, was sich im Nachbarzimmer abgespielt hatte. Zumindest nicht freiwillig.
Kapitel 46
Renate betrachtete sich im Badezimmerspiegel. Sie rückte ihr hellblau geblümtes Dirndl zurecht, und zupfte in ihrer Frisur herum. Sie kramte in einem dunkelblauen Beutel und zog wenig später eine schwarze Wimperntusche hervor. Renate schaute mit weit aufgerissenen Augen in den Spiegel und tuschte sich die Wimpern, was sie für gewöhnlich nie tat, dann betrachtete sie sich erneut. Ihre großen, mandelförmigen Augen strahlten ihr ausdrucksvoll umrandet entgegen. Sie legte einen Hauch Parfum auf und verließ zufrieden das Bad.
Barbara saß schon im Flur. Auch sie trug ein Dirndl, und auch sie hatte sich die Haare hochgesteckt. Für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke und es schien, als dämmerte Barbara, dass Renate Bescheid wusste. Über ihr Gesicht huschte etwas verstohlen Schuldbewusstes. Es schien so, als würde sie sich fragen, ob Renate lediglich ahnte, was sie getan hatte, oder ob Herbert es ihr, seinem Versprechen zum Trotz, verraten hatte. Renate betrachtete ihre Schwester. Sie fragte sich, wann es zwischen ihnen anders geworden war. Es schien ein unmöglicher Zufall zu sein, dass Renates und Barbaras einst enges Verhältnis vor ziemlich genau drei Jahren angefangen hatte zu bröckeln. Genau in der Zeit, als Renate ihrer Familie Herbert als ihren festen Freund vorgestellt hatte.
Helga und Günther kamen die Stufen hinunter. Sie sahen aus, als wollten sie den Preis zum beneidenswertesten Ehepaar des Ortes gewinnen. Selbstverständlich trugen auch sie Tracht. Bis auf Renate strahlten alle wie Atomreaktoren, es war schließlich ein wichtiger Anlass. Gemeinsam machten sie sich auf den Weg zur Festwiese, wo das Dorffest bereits in vollem Gange war.
Renate hatte sich dazu überreden lassen, am Ausschank auszuhelfen, was sie hauptsächlich deswegen getan hatte, weil sie sich dadurch erhoffte, Herberts Küssen zu entgehen. Seit deren erster Liebesnacht, vor wenigen Wochen, die von Renates Seite mit Liebe nichts zu tun gehabt hatte, hatte Herbert jede Nacht versucht mit Renate zu schlafen. Vier Mal hatte sie verzweifelt nachgegeben. Und wieder hatte er keuchend und ächzend auf ihr gelegen, und wieder war er anschließend auf ihrer Brust in sich zusammen gesackt. Renate hatte sich unterdessen drei aus vier Mal gewünscht noch in derselben Nacht zu sterben, was jedoch wieder nicht geklappt hatte. Beim vierten Mal hatte sie ihre Augen geschlossen und an den Fremden gedacht. Dies erschien ihr einerseits zwar unheimlich schäbig, andererseits hatte es jedoch positiv dazu beigetragen, das, was sie in sich fühlte zu genießen, auch wenn es eigentlich Herbert war, den sie spürte.
„Wir sehen uns dann später, Renate-Schatz“, sagte Herbert und küsste sie auf die Wange. „Ich gehe zum Schießstand und versuche dir ein Plüschtier zu schießen...“ Er lächelte schuldbewusst, dann verschwand er in der Menschenmenge. Erleichtert band sich Renate eine weiße Schürze um und zapfte Bier.
Etwa eine Stunde später kam Herbert mit einer riesigen Giraffe zurück. Er stellte sie vor Renate auf die Theke. Renate konnte derart öffentliche Liebesbeweise nicht ausstehen. Vielleicht lag das auch daran, dass sie nicht wusste, wie sie darauf reagieren sollte. Sie betrachtete die Giraffe und Herberts selbstzufriedenen Gesichtsausdruck. Er schien das für ein tolles
Weitere Kostenlose Bücher