Renate Hoffmann
U-Bahn-Eingang zeigte, der nur wenige Meter entfernt war. „Mein Auto steht da drüben“, sagte Herr Hofer und zeigte auf einen Volvo, der auf der gegenüber liegenden Straßenseite parkte. „Wenn man es genau nimmt“, sagte er lächelnd, „dann ist es zu meinem Auto näher, als zur U-Bahn.“ Frau Hoffmann schmunzelte. „Jetzt sein Sie nicht so... Ich fahre Sie nach Hause...“ Frau Hoffmann wollte gerade noch einmal dankend ablehnen, da sagte Herr Hofer, „Sagen Sie doch einfach ja...“
„Wo wohnen Sie eigentlich?“, fragte Frau Hoffmann, während sie langsam auf den Volvo zusteuerte. Herr Hofer zog einen Schlüsselbunt aus seiner Hosentasche und antwortete, dass er in Gern wohne. Frau Hoffmann blieb stehen und starrte Herrn Hofer entgeistert an. „Das ist doch ein Scherz...“, sagte sie erstaunt. Herr Hofer, der nicht weniger erstaunt war über Frau Hoffmanns seltsames Betragen, schüttelte den Kopf. „Nein...“, sagte er, „... ich wohne tatsächlich in Gern...“
Eine viertel Stunde später stellte Herr Hofer den Motor ab und Frau Hoffmann öffnete die Tür. „Hier wohnen Sie also...“, sagte er lächelnd und schaute aus dem Fenster. Frau Hoffmann griff nach ihrer Handtasche. „Diese Gegend passt gar nicht zu Ihnen...“, sagte Herr Hofer nachdenklich.
„Warum?“, fragte Frau Hoffmann irritiert.
Er schaute noch einmal aus dem Fenster, hinauf zu den schier endlos wirkenden Plattenbauten. „Es ist so trostlos hier“, sagte Herr Hofer.
Frau Hoffmann schaute zu den Wohnungen, die von unten aussahen wie eng aneinander gereihte Zellen. „Dann passt es doch ziemlich gut zu mir“, sagte sie nüchtern.
„Nein...“, sagte Herr Hofer lächelnd. „Das passt überhaupt nicht zu Ihnen.“
Wenige Minuten später stieg Frau Hoffmann in den Aufzug. In ihrer rechten Hand hielt sie die Post, die sie zuvor aus ihrem Briefkasten geholt hatte. Der Fahrstuhl setzte sich schleppend in Bewegung. Es schien, als wüsste Frau Hoffmann genau wie er sich fühlte. Es schien, als wollte er nicht nach oben fahren. Es schien so, als wäre er entsetzlich müde.
Frau Hoffmanns Schritte hallten durch den Flur. Das Licht der Energiesparlampe flackerte nervös. Seufzend suchte sie ihren Schlüssel. Und während sie ihn suchte, fragte sie sich, wie es sein konnte, dass die Energiesparlampe schon wieder nicht richtig funktionierte, wo es doch immer hieß, dass Energiesparlampen viel länger halten würden, als normale Glühbirnen. Frau Hoffmann fischte den Schlüsselbund aus ihrer Tasche und öffnete ihre Wohnungstür, um wenig später in ihrer trostlosen und leeren Wohnung zu stehen und sich zu fragen, warum ihr Leben so anders verlaufen war, als sie es sich immer gewünscht hatte. Sie fragte sich, warum Gott, oder wer auch immer dafür verantwortlich war, sie ihr gesamtes Leben lang bestraft hatte.
Ihr ganzes Leben war eine Aneinanderreihung unwichtiger oder tragischer Momente gewesen bis sie Henning kennen lernte. Und dann, als es für einen flüchtigen Moment des so schien, als hätte sich nun alles für sie geändert, schlich es sich wieder ein. Die schönsten Jahre ihres Lebens wurden innerhalb von wenigen Sekunden zum dunkelsten Kapitel. Doch es hatte kein Zurück mehr gegeben. Es war zu spät gewesen, um wieder da anzuknüpfen, wo sie ihr altes Leben verlassen hatte. Als Henning starb, war alles mit ihm gestorben. Frau Hoffmann war alleine gewesen. Und das nicht nur an dem Abend, als sie es erfahren hatte, sondern immer. Und während ihre Schwester das Leben führte, das ihre Eltern guthießen, vereinsamte Frau Hoffmann in einem Leben, das sie sich so nicht vorgestellt hatte.
Kapitel 49
Frau Hoffmann setzte sich auf den Balkon. Auch wenn es nicht abzustreiten war, dass sich ihr Leben in den vergangenen Wochen zum Positiven verändert hatte, schien ihr diese Veränderung nicht einmal annähernd auszureichen, um weiterzumachen. Sie hasste ihr Leben. Sie hasste das Haus in dem sie lebte, sie hasste die Tatsache, dass sie gewöhnlich und langweilig war. Sie hasste es sich selbst zu hassen, und sie hasste das Gefühl, noch immer wütend zu sein. An all diesem Hass konnte auch ihre Bekanntschaft mit Silvia nichts ändern. Eine schicksalhafte Begegnung, die aus deren beiderseitigem Wunsch entstanden war, ihr trostloses Dasein endlich zu beenden. Und auch Herr Peters, Frau Hoffmanns heimlicher Freund, würde ihr gewiss keine Träne nachweinen, weil ihre Existenz keinerlei Bedeutung für ihn hatte. Er hatte
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