Renate Hoffmann
an sich zu spüren. Sie versuchte, sich zu entspannen und in seiner Umarmung gehen zu lassen. Und plötzlich, gab es keine Umarmung mehr. Die Situation arrangierte sich neu, und plötzlich stand Frau Hoffmann in einem durch und durch weißen Raum neben einem weißen Untersuchungstisch. Sein Körper lag leblos und nackt auf der kalten weißen Tischplatte, lediglich auf seinem Schoß lag ein weißes Tuch. Seine Augen waren geschlossen, seine Lippen einen winzigen Spalt weit geöffnet. Wäre seine Haut nicht so farblos und graustichig gewesen, hätte er auch friedlich schlafen können.
Frau Hoffmann schaute zu einem Mann, der ihr vollkommen in weiß gekleidet zur Seite stand und nickte ihm zu. Als sie dann erneut zu Hennings Leiche hinüber sah, wurde ihr unvermittelt unheimlich schlecht. Ihr Magen verkrampfte sich, ihre Hände zitterten. Darauf war sie nicht vorbereitet gewesen. Da lag der Mann den sie liebte, und nun sah er so aus, wie er wirklich ausgesehen hatte, als Frau Hoffmann seinen Leichnam hatte identifizieren müssen. Die Fleischwunden grob vernäht, eine Binde über seiner Nase, Blutergüsse und zahlreiche Blessuren übersäten seinen einst starken Körper, der nun gebrochen vor ihr lag.
Und weil sie es nicht über sich brachte, ihn zu berühren, stand sie einfach nur neben ihm und schaute ihn an. Sie weinte nicht, sie versuchte lediglich sich nicht zu übergeben. Im Grunde wusste sie selbst nicht, warum sie noch dort stand, doch vielleicht lag es daran, dass sie nicht wusste, was sie sonst hätte tun sollen, denn plötzlich gab es niemanden mehr. Frau Hoffmann war alleine gewesen. Und der Gedanke in ihre gemeinsame Wohnung zurückzukehren, um dort das Geschirr von ihrem letzten gemeinsamen Essen abzuspülen, erschien ihr so grauenhaft, dass sie es vorzog einfach neben Hennings Leichnam stehenzubleiben. Acht Stunden zuvor war alles noch normal gewesen.
Kapitel 66
Renate schmiegte sich an Hennings Brust, als sie auf der Suche nach dem perfekten Sofa über den Flohmarkt am Ostbahnhof schlenderten. Die Sonne schien von einem fast wolkenlosen Himmel. Die Stimmung war gelöst und wohlig. Renate hatte sich noch am Tag ihrer Ankunft vor acht Wochen in München verliebt. Henning hatte ihr die Stadt gezeigt, sie durch die Ludwig-Maximilians-Universität geführt, sie waren im Englischen Garten spazieren gegangen und Henning war mit ihr durch die Kaufingerstraße und über den Viktualienmarkt flaniert.
Die ersten Wochen waren sie bei Freunden von Henning untergekommen, die Renate mit offenen armen empfangen hatten. Max und seine Freundin Ivonne studierten beide an der LMU, er Philosophie und Kunstgeschichte, sie Biologie und Chemie. Es war angenehm gewesen sich mit ihnen zu unterhalten. Sie hatten Renate bestärkt sich bei um einen Studienplatz in Medizin zu bewerben, was sie nach längerem hin und her schließlich auch tat.
Renate und Henning hatten bereits zwölf Wohnungen besichtigt, von denen jedoch jede einen, oder mehrere Haken gehabt zu haben schien. Die erste war zu klein, die zweite zu groß, die dritte ungünstig geschnitten, die vierte, fünfte und sechste waren zu teuer, die siebte zu weit von den öffentlichen Verkehrsmitteln entfernt, für die achte und die neunte kam Henning als Hauptmieter nicht in Frage, was an den Tätowierungen gelegen haben musste, die zehnte und die elfte waren an Hauptverkehrsstraßen gelegen, weswegen man nicht hätte lüften können, ohne einen qualvollen Erstickungstod zu riskieren, und die zwölfte war für das, was sie war einfach viel zu teuer gewesen.
Die dreizehnte Wohnung war dann perfekt. Sie übertraf alles, was Henning und Renate sich erwartet hatten. Sie hatte die perfekte Größe, sie war perfekt geschnitten, die Nachbarn schienen sofort sympathisch, sie hatte eine kleine Terrasse, von der aus man über die Dächer Haidhausens schauen konnte, sie hatte eine Wohnküche und ein Kellerabteil, und sie war nur zwei Minuten vom Rosenheimerplatz entfernt, und dennoch konnte man lüften, ohne sein Leben zu riskieren. Der einzige Nachteil bestand in der Tatsache, dass das Gebäude keinen Lift hatte, was jedoch gleichzeitig der Grund war, weswegen sie sich die Wohnung überhaupt leisten konnten. Der Vermieter schien zwar von Hennings äußerer Erscheinung anfangs abgeschreckt, willigte letzten Endes aber ein, was vermutlich nicht zuletzt damit verbunden gewesen war, dass Henning und er sich als begeisterte Anhänger desselben Fußballvereins
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