Renate Hoffmann
er, schluchzend und zitternd, so als hätte sein Leben auf einen Schlag den Sinn verloren.
„Herbert, was ist denn los?“, fragte Barbara und legte ihre Hand auf seinen Rücken. Verschreckt schaute er auf. Als ihre Blicke sich trafen, schluchzte er auf und schloss sie in seine Arme, sein Gesicht vergrub er in ihrem Bauch. „Was ist denn passiert mein Schatz?“
Er schaute sie an, und unter verzweifelten Schluchzern sagte er schließlich, „...du darfst nicht sterben... du darfst auf keinen Fall sterben... ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde...“ Barbara streichelte sanft über sein Haar. „Barbara, ich liebe dich mehr als alles andere, und wenn ich es dir nicht oft genug gesagt habe, dann tut es mir Leid...“ Barbaras Augen füllten sich mit Tränen. Sie waren nicht länger matt, sie leuchteten strahlend blau.
Frau Hoffmann wusste, wann es Zeit war zu gehen. Sie drehte sich um und zog die Tür fast lautlos hinter sich ins Schloss. Vielleicht war es an der Zeit gewesen zu verzeihen. Vielleicht war der Zeitpunkt gekommen sich endlich zu entscheiden. Henning hatte das gewusst. Er hatte immer zu ihr gesagt, dass es im Leben darum gehe, sich zu entscheiden und zu seinen Entscheidungen zu stehen. Und er hatte recht gehabt.
Kapitel 102
„Robert? Hast du einen Moment Zeit?“ Frau Hoffmann schloss die Augen und stellte sich Roberts Gesicht vor. Sie hatte Angst davor gehabt, ihn anzurufen, weil sie befürchtet hatte, dass er sie womöglich abweisen würde, was Herbert ihr letzten Endes auszureden vermochte. Er hatte ihr versichert, dass Robert ihr zuhören würde. Er hatte ihr klar gemacht, dass Robert ihre Geschichte kannte und deswegen wisse, wie schwer es für sie wäre. Es hatte einige Überredungsarbeit gekostet, doch letztlich griff sie nach dem Telefon und wählte seine Nummer. Und dieses Mal legte sie nicht auf. „Nein, ich meinte nicht am Telefon... Ich meinte heute Abend...“ Einen winzigen Augenblick zögerte er, dann sagte er zu.
„Gut, wie wäre es dann um acht?“ Frau Hoffmann klopfte nervös mit den Fingern auf den Tisch. „Ich kann auch zu dir kommen...“ Erleichtert nickte sie Herbert und Barbara zu, die sie wissend anlächelten. „Ach ja, und Robert... es tut mir Leid, wie ich mich verhalten habe...“
Herbert strahlte Barbara an. Es war schön die beiden vereint zu sehen. Und plötzlich schien Frau Hoffmann zu verstehen, dass Barbara ihr nie hatte wehtun wollen. Sie hatte Herbert geliebt. Frau Hoffmann schien in diesem Augenblick zu begreifen, dass es genauso hatte kommen sollen. Herbert und Barbara und Henning und sie, nur dass Henning nicht mehr lebte. Vielleicht hatte sogar das geschehen müssen. Die größten Liebesgeschichten hatten immer im Tod geendet. Vielleicht war das der springende Punkt. Vielleicht musste es so sein. Frau Hoffmann versuchte, sich Romeo und Julia in deren gemeinsamen Wohnung in Verona vorzustellen. Wäre ihre Liebe erst einmal dem Alltag ausgesetzt gewesen, hätte sie es ausgehalten? Hätten Tristan und Isolde ihre immer wiederkehrenden Streitereien lösen können? War nicht vielmehr die Tatsache, dass ihre Liebe selbst den Tod zu bezwingen vermochte das, was all diesen Geschichten deren wahre Größe verliehen hatte? Dann dachte Frau Hoffmann an Henning, und plötzlich musste sie lachen. Denn ganz tief in sich trug sie die Gewissheit, dass das alles Quatsch war. Henning und sie wären glücklich gewesen. Sie hätten gestritten und vielleicht hätten sie sich sogar manchmal gehasst, doch sie hätten sich wieder versöhnt und ganz bestimmt hätten sie sich geliebt.
Frau Hoffmann stieg aus dem Auto. „Ich danke dir Renate... für alles...“ Herbert nahm sie in die Arme und mit dieser Umarmung schien alles, was vor wenigen Tagen noch bleiern zwischen ihnen gelegen hatte, unendlich weit entfernt. Es war nicht länger wichtig. Er hatte ihr verziehen.
„Bitte sag Barbara noch einmal liebe Grüße.“
„Das mache ich...“ Frau Hoffmann bückte sich nach ihrer Tasche. „Ich nehme die Tasche...“
„Nein, ist schon gut...“, sagte Frau Hoffmann. Herbert schaute sie an und nahm ihr lächelnd die Tasche aus der Hand. In diesem Moment wurde Frau Hoffmann klar, dass Barbara recht gehabt hatte. Herbert war stets ein Gentleman gewesen. Und er war es noch. Sie hatte es nur nie bemerkt.
Gemeinsam gingen sie den Bahnsteig hinunter. „Vielleicht können wir dich einmal besuchen, wenn es Barbara besser geht?“
Frau Hoffmann lächelte. „Das
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