Rendezvous im Hyde Park
nickte und wartete dann, während Louisa mit einem Hausmädchen sprach. Danach traten sie in den Salon und setzten sich so weit wie möglich an den Rand. Ein paar Minuten später kam das Dienstmädchen mit den Büchern.
Sie reichte ihnen Miss Sainsbury und der mysteriöse Oberst, und beide Damen griffen danach.
„Oh, wie komisch, wir lesen ja das gleiche Buch!", rief Louisa aus, als sie sah, dass die Bände denselben Titel hatten.
Annabel sah ihre Cousine überrascht an. „Hast du das nicht schon gelesen?"
Louisa zuckte mit den Schultern. „Ich hatte so viel Freude an Miss Truesdale und der stille Gentleman, dass ich dachte, ich könnte die anderen auch noch einmal lesen." Sie sah auf Annabels Exemplar hinab. „Wo bist du denn gerade?"
„Ähm ..." Annabel schlug das Buch auf und suchte die Stelle. „Ich glaube, Miss Sainsbury ist gerade über die Hecke gesprungen. Oder vielleicht auch in die Hecke."
„Oh, die Sache mit der Ziege", erklärte Louisa atemlos.
„Die Stelle fand ich großartig." Sie hielt ihr eigenes Exemplar hoch. „Ich bin noch am Anfang."
Sie machten es sich mit ihrem Buch gemütlich, doch bevor eine von ihnen auch nur einmal umblättern konnte, kam Lady Challis vorbei. „Was lesen Sie denn da?", erkundigte sie sich.
„Miss Sainsbury und der mysteriöse Oberst", antwortete Louisa höflich.
„Und Sie, Miss Winslow?"
„Oh, zufällig dasselbe."
„Sie lesen beide das gleiche Buch? Wie entzückend!"
Lady Challis winkte eine Freundin herbei. „Rebecca, sieh dir das an. Sie lesen das gleiche Buch."
Annabel war nicht ganz klar, was daran so bemerkenswert sein sollte, doch sie blieb ruhig sitzen, bis Lady Westfield zu ihnen herübergekommen war.
„Cousinen", verkündete Lady Challis, „die das gleiche Buch lesen."
„Ich habe es davor schon einmal gelesen", erklärte Louisa.
„Um welches Buch handelt es sich denn?", erkundigte sich Lady Westfield.
„Miss Sainsbury und der mysteriöse Oberst", sagte Annabel noch einmal.
„Ach ja. Von Mrs Gorely. Mir hat das ziemlich gut gefallen. Vor allem als sich dann herausstellte, dass der Pirat..."
„Nichts verraten!", rief Louisa aus. „Annabel hat es noch nicht ausgelesen."
„O ja, natürlich."
Annabel runzelte die Stirn und blätterte in dem Buch.
„Ich dachte, es wäre ein Freibeuter."
„Es ist eines meiner Lieblingsbücher", warf Louisa ein.
Lady Westfield wandte sich an Annabel. „Und Ihnen, Miss Winslow, gefällt es Ihnen auch?"
Annabel räusperte sich. Sie war sich nicht sicher, ob ihr das Buch tatsächlich gefiel. Zumindest missfiel es ihr nicht.
Und es hatte etwas ziemlich Tröstliches an sich. Es erinnerte sie an Sebastian. Mrs Gorely war eine seiner Lieblingsautorinnen, und sie verstand auch, warum. Teilweise hörte sie sich fast schon wie er an.
„Miss Winslow?", hakte Lady Westfield nach. „Gefällt Ihnen das Buch?"
Annabel zuckte zusammen und bemerkte dann, dass sie die Frage noch nicht beantwortet hatte. „Ich glaube schon.
Die Geschichte ist recht unterhaltsam, wenn auch ein wenig unglaubwürdig."
„Ein wenig?", sagte Louisa lachend. „Sie ist vollkommen unglaubwürdig. Deswegen sind die Bücher ja so herrlich."
„Vermutlich", erwiderte Annabel. „Ich wünschte mir nur, dass der Stil ein bisschen weniger blumig wäre. Manchmal kommt es mir so vor, als watete ich knietief in Adjektiven."
„Oh, mir ist gerade etwas Wunderbares eingefallen", rief Lady Challis und klatschte in die Hände. „Wir heben uns die Scharaden für einen anderen Abend auf."
Annabel stieß einen tiefen Seufzer der Erleichterung aus. Sie hatte Scharaden schon immer verabscheut.
„Stattdessen veranstalten wir eine Lesung!"
Annabel sah scharf auf. „Was?"
„Eine Lesung. Zwei Exemplare haben wir ja schon hier.
Ich glaube, in der Bibliothek ist noch eines. Drei sollten mehr als genug sein."
„Sie wollen aus Miss Sainsbury vorlesen?", fragte Louisa.
„Oh, nicht ich", erklärte Lady Challis und legte eine Hand aufs Herz. „Die Gastgeberin macht bei so etwas nie mit."
Annabel war sich nicht sicher, ob das wirklich stimmte, aber sie war in dieser Sache ohnehin machtlos.
„Würden Sie sich bereit erklären, uns vorzulesen, Miss Winslow?", fragte Lady Challis. „Sie haben etwas so Dramatisches an sich."
Annabel war sich ihrer Sache nicht oft sicher, aber hier war sie überzeugt: Das war kein Kompliment. Aber sie erklärte sich bereit zum Vorlesen, da sie auch hier machtlos war. „Sie sollten Mr Grey bitten
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