Rendezvous im Hyde Park
mitzumachen", schlug Louisa vor. Annabel beschloss, sie später in die Seite zu boxen, da sie im Moment nicht an sie herankam.
„Er bewundert Mrs Gorely sehr", fuhr Louisa fort.
„Wirklich?", murmelte Lady Challis.
„Wirklich", bestätigte Louisa. „Wir haben erst kürzlich davon gesprochen, wie begeistert wir von der Autorin sind."
„Also gut", entschied Lady Challis. „Dann fragen wir Mr Grey. Und Sie auch, Lady Louisa."
„Oh. Nein." Louisa errötete heftig, und bei ihr sah es tatsächlich heftig aus. „Das kann ich nicht. Ich ... ich bin in diesen Dingen einfach schrecklich."
„Dann bekommen Sie gleich ein wenig Übung, finden Sie nicht?"
Annabel hatte sich darauf gefreut, Rache an ihrer Cousine zu nehmen, aber das fand selbst sie zu grausam. „Lady Challis, bestimmt können wir auch einen Freiwilligen finden, der mit Freude bei der Sache ist. Vielleicht könnte Louisa ja auch unsere künstlerische Leiterin sein!"
„Brauchen Sie denn eine?"
„Ähm, ja. Ich meine, natürlich. Jede Kunst braucht eine künstlerische Leitung. Und eine Lesung ist doch auch nichts anderes als Kunst."
„Also gut", sagte Lady Challis und winkte herablassend.
„Machen Sie das unter sich aus. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen möchten, ich sehe mal nach, warum die Herren so lange brauchen."
„Danke", sagte Louisa, sobald Lady Challis gegangen war. „Ich hätte nie im Beisein aller vorlesen können."
„Ich weiß", sagte Annabel. Sie war auch nicht sonderlich scharf darauf, vor der versammelten Gesellschaft aus Miss Sainsbury vorzulesen, aber zumindest hatte sie in derlei Dingen Übung. Mit ihren Geschwistern hatte sie zu Hause oft Theaterstücke aufgeführt oder Lesungen veranstaltet.
„Welchen Teil sollen wir denn vorlesen?", fragte Louisa und blätterte im Buch.
„Ich weiß nicht. Ich habe es ja noch nicht einmal halb durch. Aber glaub ja nicht", sagte Annabel scharf, „du kannst mich die Ziege lesen lassen."
Louisa lachte. „Nein, natürlich bist du Miss Sainsbury. Mr Grey ist der Oberst. Ach je, dann brauchen wir noch einen Erzähler. Vielleicht Mr Greys Vetter?"
„Ich fände es ja viel lustiger, wenn Mr Grey Miss Sainsbury übernehmen würde", sagte Annabel nonchalant.
Louisa keuchte auf. „Annabel, du bist boshaft."
Annabel zuckte mit den Schultern. „Ich kann auch die Erzählerin sein."
„O nein. Wenn du Mr Grey Miss Sainsbury lesen lassen willst, musst du der Oberst sein. Mr Valentine kann den Er-zähler übernehmen." Louisa runzelte die Stirn. „Vielleicht sollten wir Mr Valentine fragen, ob er Lust hat mitzumachen, ehe wir ihn für die Rolle auswählen."
„Ich konnte es mir auch nicht aussuchen", erinnerte Annabel sie.
Louisa ließ sich das durch den Kopf gehen. „Stimmt.
Also schön, dann suche ich mal eine geeignete Passage. Was meinst du, wie lang sollte die Lesung sein?"
„So kurz, wie es nur irgend möglich ist", sagte Annabel entschieden.
Louisa schlug ihr Buch auf und blätterte darin herum.
„Das könnte schwierig werden, wenn wir die Ziege zu umgehen suchen."
„Louisa ...", warnte Annabel sie.
„Ich nehme an, dein Verbot umfasst auch Schafe?"
„Alle vierbeinigen Kreaturen."
Louisa schüttelte den Kopf. „Du gestaltest die Sache ziemlich schwierig. All die Szenen an Bord des Schiffes fallen flach."
Annabel sah ihr über die Schulter und murmelte: „So weit bin ich noch nicht."
„Milchziegen", sagte Louisa.
„Was sehen die Damen sich denn an?"
Annabel sah auf und schmolz innerlich ein wenig dahin. Sebastian stand hinter ihnen; vermutlich sah er nichts anderes als ihre Köpfe, während sie sich über das Buch beugten.
„Wir werden eine Szene lesen", sagte sie und lächelte entschuldigend. „Aus Miss Sainsbury und der mysteriöse Oberst."
„Wirklich?" Sofort setzte er sich zu ihnen. „Welche Szene?"
„Das versuche ich gerade zu entscheiden", sagte Louisa.
Sie sah auf. „Ach, übrigens, Sie sind Miss Sainsbury."
Er blinzelte. „Wirklich."
Sie nickte zu Annabel hinüber. „Annabel ist der Oberst."
„Ein wenig durcheinander, finden Sie nicht?"
„So ist es aber amüsanter", erwiderte Louisa. „Es war Annabels Idee."
Sebastian richtete den Blick voll auf Annabel. „Warum", murmelte er trocken, „überrascht mich das nicht?"
Er saß ganz dicht bei ihr. Natürlich berührte er sie nicht, so indiskret wäre er an einem so öffentlichen Ort nie. Aber es fühlte sich so an, als berührten sie einander. Die Luft zwischen ihnen hatte sich
Weitere Kostenlose Bücher