Rendezvous im Hyde Park
mysteriöse Oberst, war ein voller Erfolg gewesen. So sehr, dass Sebastian weitere Romane geschrieben hatte, Miss Davenport und der dunkle Marquis, Miss Truesdale und der stille Gentleman und - bis dato sein größter Verkaufsschlager - Miss Butterworth und der verrückte Baron.
Alle natürlich unter Pseudonym veröffentlicht. Wenn herauskäme, dass er Schauerromane schrieb ...
Er dachte einen Augenblick nach. Was würde eigentlich passieren, wenn es herauskäme? Die verknöcherteren Mitglieder der Gesellschaft würden ihn schneiden, aber das schien ihm eher ein Vorteil. Der übrige ton fände es einfach köstlich. Man würde ihn wochenlang feiern.
Aber es würde auch Fragen geben. Und Leute, die ihn baten, ihre Geschichte zu schreiben. Das wäre so ermüdend.
Es gefiel ihm, ein Geheimnis zu haben. Selbst seine Familie hatte keine Ahnung. Möglich, dass die Leute sich wunderten, woher er sein Geld hatte, aber bisher hatte noch niemand nachgefragt. Harry nahm vermutlich an, dass er Unterhaltszahlungen von seiner Mutter bekam. Und dass er aus Sparsamkeit jeden Tag sein Frühstück bei ihm schnorrte.
Außerdem mochte Harry seine Bücher nicht. Er übersetzte sie zwar ins Russische (und bekam ein Vermögen dafür, vielleicht sogar mehr, als Sebastian für die englischen Originale bekam), aber sie gefielen ihm nicht. Er fand sie albern. Das sagte er ziemlich oft. Sebastian brachte nicht den Mut auf, ihm zu sagen, dass Sarah Gorely, die Autorin, eigentlich Sebastian Grey, sein Cousin, war.
Harry würde sich so unwohl fühlen.
Sebastian trank seinen Tee und beobachtete Edward bei der Zeitungslektüre. Wenn er sich vorbeugte, könnte er vielleicht die ihm zugewandte Seite lesen. Seine Augen waren immer außergewöhnlich scharf gewesen.
Aber wohl nicht scharf genug. Die London Times war in einem lächerlich kleinen Schriftgrad gesetzt. Er versuchte es dennoch. Die Schlagzeilen jedenfalls waren lesbar.
Edward legte die Zeitung weg und warf ihm einen Blick zu. „Langweilst du dich so sehr?"
Sebastian trank seinen Tee aus. „Fürchterlich. Und du?"
„Ziemlich, schließlich kann ich nicht mal Zeitung lesen, ohne dass du mich anstarrst."
„Bringe ich dich so aus dem Konzept?" Sebastian lächelte. „Prima."
Edward schüttelte den Kopf und hielt ihm die Zeitung hin. „Möchtest du die Zeitung haben?"
„Himmel, nein. Ich wurde letzten Abend in ein Gespräch mit Lord Worth verwickelt, es ging um die neue Verbrauchssteuer. Darüber nachzulesen wäre nur um weniges angenehmer, als mir die Zehennägel auszureißen."
Edward starrte ihn an. „Deine Fantasie ist ja beinahe makaber."
„Nur beinahe?", murmelte Sebastian.
„Ich wollte nur höflich sein."
„Oh, meinetwegen solltest du dir da keine Mühe geben."
„Scheint mir auch so."
Sebastian schwieg gerade so lange, um Edward glauben zu machen, das Thema wäre beendet, doch dann sagte er: „Du wirst ganz schön langweilig auf deine alten Tage, Frechdachs."
Edward hob eine Augenbraue. „Und du bist dann ..."
„Uralt, aber interessant", erwiderte Sebastian grinsend.
Ob es am Tee lag oder an der Freude, seinen jungen Vetter zu ärgern, ihm ging es jedenfalls schon besser. Noch tat ihm der Kopf weh, aber zumindest brauchte er nicht mehr zu befürchten, den Teppich zu ruinieren. „Hast du vor, auf Lady Trowbridges Veranstaltung heute Abend zu gehen?"
„In Hampstead?"
Sebastian nickte und goss sich Tee nach.
„Ich glaube schon. Ich habe nichts Besseres vor. Und du?"
„Ich bin mit der reizenden Lady Cellars auf der Heide verabredet."
„Auf der Heide?"
„Ich habe mich schon immer für die Wildnis begeistert", murmelte Sebastian. „Ich muss nur einen Weg finden, eine Decke auf die Gesellschaft mitzubringen, ohne dass es jemand bemerkt."
„Offenbar geht deine Begeisterung für die Wildnis doch nicht ganz so weit."
„Nur frische Luft und Abenteuer. Auf die Zweige und die Grasflecken kann ich gut verzichten."
Edward erhob sich. „Nun, wenn es jemand fertigbringt, dann du."
Überrascht und vielleicht ein wenig enttäuscht blickte Sebastian auf. „Wohin gehst du denn?"
„Ich habe einen Termin bei Hoby."
„Ah." Dann durfte er ihn nicht aufhalten. Mr Hoby enttäuschte man nicht, und man stellte sich auch nicht zwischen einen Gentleman und seine Stiefel.
„Wirst du noch da sein, wenn ich wiederkomme?", erkundigte sich Edward von der Tür her. „Oder hast du vor heimzugehen?"
„Wahrscheinlich bin ich noch hier", erwiderte Sebastian, nahm
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