Rendezvous im Hyde Park
Abstand voneinander in den Ballsaal zurückkehren konnten. Die liebreizende Lady Cellars hatte einen Ruf zu verlieren, bei ihm war es eher gleichgültig. Nicht dass ihre Liaison ein Geheimnis gewesen wäre. Elizabeth war jung und schön, sie hatte ihrem Ehemann bereits zwei Söhne geschenkt, und wenn Sebastian korrekt informiert war, interessierte sich Lord Cellars weitaus mehr für seinen Sekretär als für seine Frau.
Niemand erwartete von Lady Cellars, dass sie ihrem Gatten treu war. Niemand.
Doch der Schein musste gewahrt werden, und so blieb Sebastian gern auf der Decke liegen (die ein unternehmungslustiger Lakai eingeschmuggelt hatte) und betrachtete den nächtlichen Sternenhimmel.
Hier draußen auf der Heide war es ungewöhnlich friedvoll, trotz der Ballgeräusche, die vom Wind herangeweht wurden. Er hatte sich nicht allzu weit über die Grenzen des Trowbridge-Anwesens hinausgewagt, dazu war Elizabeth nicht abenteuerlustig genug. Trotzdem kam er sich vor wie der einzige Mensch weit und breit.
Erstaunlicherweise genoss er das.
Er war nicht oft allein. Eigentlich so gut wie nie. Aber es hatte etwas Reizvolles an sich, draußen auf der Heide im Freien zu sein. Es erinnerte ihn an den Krieg, an all die Nächte, in denen er nichts über sich hatte als ein Blätterdach.
Er hatte diese Nächte gehasst.
Es schien nicht logisch, dass etwas, was ihn an den Krieg erinnerte, ihn nun froh stimmte, aber das, was ihm so durch den Kopf ging, war selten logisch. Es zu hinterfragen schien wenig sinnvoll.
Er schloss die Augen. Das Innere seiner Augenlider war braunschwarz, ganz anders als das Dunkellila der Nacht.
Die Dunkelheit hatte so viele Farben. Er fand das seltsam, vielleicht sogar ein wenig beunruhigend. Aber ... „Oh!"
Ein Fuß trat gegen seine linke Wade. Sebastian schlug die Augen gerade noch rechtzeitig auf, um die rückwärts stolpernde Frau zu sehen.
Sie kam direkt auf seine Decke getaumelt. Er lächelte. Die Götter liebten ihn immer noch.
„Guten Abend", sagte er und stützte sich auf die Ellbogen. Die Frau antwortete nicht - kein Wunder, sie war immer noch vollauf mit der Frage beschäftigt, wie sie wohl auf dem Hinterteil gelandet sein mochte. Er sah zu, wie sie versuchte, sich wieder auf die Füße zu rappeln. Es war keine leichte Aufgabe. Der Boden unter der Decke war holprig, und ihrem schweren Atmen nach zu urteilen, war sie vollkommen aus dem Gleichgewicht.
Er fragte sich, ob sie wohl auch eine Verabredung hatte.
Vielleicht drückte sich noch ein Gentleman auf der dunklen Heide herum und wartete nur auf seinen Einsatz.
Sebastian legte den Kopf schief und betrachtete die Dame, die sich nun ihr Kleid abklopfte, und dachte sich - vermutlich nicht. Ihr fehlte die heimlichtuerische Aura. Außerdem trug sie Weiß oder Hellrosa oder irgendeine andere jungfräuliche Farbe. Natürlich konnten auch Debütantinnen verführt werden - nicht dass Sebastian je dergleichen getan hätte; er hielt sich an gewisse moralische Standards, selbst wenn ihm das niemand zutraute. Doch nach allem, was er beobachtet hatte, musste man Jungfrauen an Ort und Stelle umwerben. Man würde keine dazu bringen, durch den Park auf die Heide zu spazieren, um sich dort ruinieren zu lassen.
Selbst die dümmste Debütantin würde zur Vernunft kommen, ehe sie ihr Ziel erreicht hatte. Es sei denn ...
Jetzt wurde es eventuell interessant. Vielleicht war diese ungeschickte junge Dame schon entjungfert worden. Vielleicht hatte sie sich aufgemacht, um ihren Liebhaber zu treffen. Der unternehmungslustige Gentleman musste seine Sache beim ersten Mal außerordentlich gut gemacht haben, wenn er erneut zum Zug kam. Sebastian wusste aus verlässlicher Quelle, dass eine Frau das erste Mal nur selten genoss.
Möglicherweise hatten seine statistischen Erhebungen aber auch einen Schönheitsfehler. All die Frauen, mit denen er geschlafen hatte, hatten ihr erstes Mal mit ihrem Ehemann erlebt. Die fast schon per Definition schlecht im Bett waren. Warum hätten ihre Gattinnen sonst Sebastians Aufmerksamkeiten gesucht?
Jedenfalls war es äußerst unwahrscheinlich, dass diese junge Dame unterwegs zu ihrem Liebhaber war, so köstlich seine Überlegungen auch sein mochten. Jungfräulichkeit war das einzige Vermögen, über das junge, unverheiratete Exemplare der Weiblichkeit verfügen konnten, und normalerweise verschwendeten sie es nicht leichtfertig.
Was tat sie also hier draußen? So ganz allein? Er lächelte. Er mochte Rätsel. Beinahe so
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