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Rendezvous im Hyde Park

Rendezvous im Hyde Park

Titel: Rendezvous im Hyde Park Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julia Quinn
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an der Seite ihrer Enkelin zu halten.
    Einen so greifbaren Beweis ihrer Liebe hatte ihre Groß-
    mutter noch nie geliefert, erkannte Annabel.
    „Nun, eines hat die Sache auch für sich", verkündete Lady Vickers, „trotz des Skandals: So viele meiner Freunde habe ich die ganzen letzten Jahre nicht gesehen."
    Freunde? Annabel lächelte schwach.
    „Ich glaube fast, dass wir das Schlimmste schon hinter uns haben", fuhr Lady Vickers fort. „Am ersten Tag hatten wir dreiunddreißig Besucher, am zweiten neununddreißig, und gestern nur sechsundzwanzig."
    Annabel blieb der Mund offen stehen. „Du hast sie gezählt?"
    „Natürlich habe ich sie gezählt. Was hast du denn gemacht?"
    „Ähm ... ich bin hier gesessen und habe versucht, es wie eine Dame hinzunehmen."
    Ihre Großmutter lachte. „Wahrscheinlich dachtest du, dass ich gar nicht so weit zählen kann."
    Annabel geriet ins Stottern und Stammeln und bedauerte es allmählich, den Brandy ausgeschlagen zu haben.
    „Pfft." Lady Vickers tat ihre Bestürzung mit einem scharfen Winken ab. „Ich habe jede Menge verborgene Talente."
    Annabel nickte, doch wenn sie ehrlich war, musste sie einräumen, dass sie nicht sicher war, ob sie wollte, dass ihre Großmutter noch mehr ihrer Talente offenbarte. Eigentlich war sie sich da sogar sicher.
    „Eine Dame braucht ihren ureigenen Vorrat an Geheim-nissen und Kraft", fuhr ihre Großmutter fort. „Glaub mir."
    Sie nahm einen Schluck von ihrem Brandy, schnaufte zufrieden und nahm noch einen Schluck. „Wenn du erst einmal verheiratet bist, wirst du verstehen, was ich meine."
    Achtundneunzig Besucher, dachte Annabel nach kur-zem Kopfrechnen. Achtundneunzig Leute hatten in Vickers House vorbeigeschaut, um sich am neuesten Skandal zu weiden. Oder um an seiner Verbreitung zu arbeiten. Oder um ihr zu sagen, wie weit er sich bereits verbreitet hatte.
    Es war schrecklich gewesen.
    Achtundneunzig Leute. Sie sackte in ihrem Sessel zusammen.
    „Sitz gerade", fuhr ihre Großmutter sie an.
    Annabel gehorchte. Vielleicht waren es doch nicht ganz achtundneunzig. Eine Reihe von Leuten war öfter gekommen. Lady Twombley war jeden Tag aufgetaucht.
    Und wo war Mr Grey bei alldem? Keiner schien es zu wissen. Seit dem Zusammenstoß in seinem Klub war er nicht mehr gesehen worden. Annabel war sich sicher, dass dies stimmte, denn man hatte es ihr erzählt, nicht weniger als achtundneunzig Mal.
    Aber sie war nicht zornig auf Mr Grey. Er konnte schließ-
    lich nichts dafür. Sie hätte ihm sagen sollen, dass sein Onkel ihr den Hof machte. Sie war diejenige, die den Skandal hätte verhindern können. Das war das Schlimmste. Drei Tage lang hatte sie damit zugebracht, sich zu schämen, sich zu ärgern und sich klein zu fühlen, und sie war an allem auch noch selbst schuld. Wenn sie ihm die Wahrheit gesagt hätte, vielleicht nicht gleich am Anfang, aber wenigstens im Hyde Park ...
    „Besuch, Mylady", verkündete der Butler.
    „Der erste heute", sagte Lady Vickers trocken. Oder war es spöttisch gemeint? „Wer ist es denn, Judkins?"
    „Lady Olivia Valentine und Mr Grey."
    „Wird auch höchste Zeit", knurrte Lady Vickers. Und das wiederholte sie auch, als Judkins ihre Gäste hereingeführt hatte. „Höchste Zeit, dass Sie sich sehen lassen. Wieso hat das so lange gedauert?"
    Vor Scham wäre Annabel am liebsten gestorben.
    „Ich war krank", erwiderte Mr Grey mit einem reuigen Lächeln und deutete auf sein Auge.
    Sein Auge. Es sah schrecklich aus. Blutunterlaufen, leicht geschwollen und von einem dunkelblauen Ring umgeben.
    Annabel keuchte erschrocken auf, sie konnte nicht anders.
    „Ich bin ein ziemlich schrecklicher Anblick", murmelte er, ergriff ihre Hand und beugte sich darüber, um sie zu küssen.
    „Mr Grey", sagte sie, „das mit Ihrem Auge tut mir schrecklich leid."
    Er richtete sich wieder auf. „Mir gefällt es gar nicht schlecht. Es verleiht mir eine Art Dauerzwinkern."
    Annabel begann zu lächeln, versuchte es aber zu unterdrücken. „Ein ziemlich grausiges Zwinkern."
    „Und ich dachte, es wäre flott und verwegen", murmelte er. „Setzen Sie sich", sagte Lady Vickers und wies aufs Sofa.
    Annabel wollte sich auch darauf setzen, doch ihre Großmutter sagte: „Du nicht. Er. Du setzt dich da drüben hin."
    Danach marschierte sie zur Tür, rief: „Judkins, wir sind für niemanden zu sprechen", und schloss die Tür.
    Sobald Lady Vickers alle auf ihren Plätzen verteilt hatte, verschwendete sie keine Zeit mehr und eröffnete die

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