Rendezvous im Hyde Park
Unterhaltung. „Was haben Sie vor?", fragte sie, allerdings nicht Mr Grey, sondern seine Cousine, die während der ganzen bisherigen Unterhaltung geschwiegen hatte.
Doch Lady Olivia ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.
Offensichtlich glaubte sie auch nicht, dass die beiden Hauptpersonen in der Lage seien, mit ihrem eigenen Skandal fertig zu werden. „Deswegen sind wir hier", sagte sie energisch.
„Mein Vetter ist entsetzt über den möglichen Schaden, den der Ruf Ihrer Enkelin nehmen könnte, und bedauert jedweden Anteil, den er an diesem Skandal gehabt haben mag."
„Das ist nur recht und billig", sagte Lady Vickers scharf.
Annabel warf Mr Grey einen verstohlenen Blick zu. Zu ihrer Erleichterung wirkte er leicht belustigt. Und vielleicht eine Spur gelangweilt.
„Natürlich", sagte Lady Olivia glatt, „war seine Beteiligung vollkommen unverschuldet. Wie wir alle wissen, führte Lord Newbury den ersten Schlag."
„Den einzigen Schlag", verbesserte Mr Grey.
„Ja", sagte Lady Vickers und nahm den Einwurf mit einer ausladenden Geste zur Kenntnis. „Aber wer sollte ihm das zum Vorwurf machen? Bestimmt hat ihn der Schock überwältigt. Ich kenne Newbury schon mein ganzes Erwachsenenleben. Er ist ein Mann zarter Empfindungen."
Annabel hätte beinahe gelacht. Sie sah noch einmal zu Mr Grey hinüber, um zu sehen, ob er ähnlich empfand wie sie. Doch gerade als sie ihn anschaute, weiteten sich seine Augen vor Schreck.
Moment mal... Schreck?
„Ja", sagte Lady Vickers mit geziertem Seufzen, „aber nun ist die gesamte Eheschließung in Gefahr. Wir haben uns so gewünscht, dass der Earl Annabel heiratet."
„Iiih!"
Annabel und Lady Olivia sahen zu Mr Grey hinüber, der, wenn Annabels Gehör sie nicht trog, soeben gequiekt hatte.
Er lächelte angespannt und wirkte so unbehaglich, wie sie ihn noch nie gesehen hatte. Nicht dass sie ihn schon oft gesehen hätte, aber sie hatte doch den Eindruck gewonnen, dass es sich bei ihm um einen Gentleman handelte, der sich in seiner Haut so gut wie immer wohlfühlte.
Er rutschte auf dem Sofa herum.
Annabel senkte den Blick.
Und sah die Hand ihrer Großmutter auf seinem Schenkel liegen.
„Tee!", kreischte sie praktisch und sprang auf. „Wir brauchen Tee. Finden Sie nicht auch?"
„Ich ja", sagte Mr Grey gefühlvoll und nutzte die Gelegenheit, von Lady Vickers wegzurutschen, soweit das Sofa es gestattete. Es handelte sich nur um ein paar Zoll, doch wenn sie jetzt wieder zugreifen wollte, wäre es lächerlich offensichtlich.
„Ich liebe Tee", plapperte Annabel und ging zum Klingelzug, um zu läuten. „Sie nicht auch? Meine Mutter sagt immer, ohne eine Kanne Tee bringt man gar nichts zustande."
„Stimmt auch der Umkehrschluss? Mit einer Kanne Tee bringt man alles zustande?"
„Das werden wir bald herausfinden, nicht wahr?" Entsetzt sah sie, dass ihre Großmutter sich auf dem Sofa in seine Richtung schob. „Ach herrje!", sagte sie, wobei sie es mit der Betonung sicherlich ein wenig übertrieb. „Er hängt fest. Mr Grey, wären Sie so freundlich, mir zu helfen?" Sie hielt den Klingelzug hoch, darauf bedacht, nicht daran zu ziehen, damit es nicht klingelte.
Eilfertig sprang er auf. „Mit Freuden. Sie kennen mich ja", sagte er zu den anderen Damen. „Der Sinn meines Lebens besteht darin, Damen in Not zu Hilfe zu eilen."
„Deswegen sind wir ja auch hier", sagte Lady Olivia sanft.
„Vorsicht", sagte Annabel, als er ihr den Klingelzug aus der Hand nahm. „Sie dürfen nicht zu fest daran ziehen."
„Natürlich nicht", murmelte er und formte dann mit den Lippen ein lautloses „Dankeschön".
Sie standen einen Augenblick da, und dann, als ihre Großmutter und Lady Olivia ins Gespräch vertieft schienen, sagte Annabel: „Tut mir leid für Ihr Auge."
„Ach, das", sagte er wegwerfend.
Sie schluckte. „Es tut mir auch sehr leid, dass ich nichts gesagt habe. Das war gar nicht richtig von mir."
In einer merkwürdig scharfen Bewegung zog er die Schulter hoch. „Wenn mir mein Onkel den Hof machen würde, würde ich vermutlich auch nicht damit hausieren gehen."
Das sollte sie wohl zum Lachen bringen, doch alles, was sie empfand, war eine schreckliche Verzweiflung. Sie rang sich ein Lächeln ab - kein sehr überzeugendes - und sagte ... Nichts. Das Lächeln war anscheinend alles, was sie zuwege brachte.
„Werden Sie ihn heiraten?", fragte Mr Grey.
Sie blickte zu Boden. „Er hat mich nicht gefragt."
„Das wird er noch."
Annabel versuchte, nicht zu
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