Rendezvous im Hyde Park
einfach, alles, was er noch sah, waren ihr Gesicht, ihr Lächeln, ihre vollen, rosa Lippen, die sich an den Mundwinkeln so reizend kräuselten.
Ein schwindeliges, berauschendes Gefühl breitete sich in ihm aus. Lust war es nicht, auch nicht Begierde, diese Gefühle hätte er einordnen können. Doch das hier war anders. Vielleicht Aufregung. Oder Vorfreude, obwohl er nicht recht wusste, worauf. Sie gingen nur im Park spazieren. Trotzdem wurde er das Gefühl nicht ganz los, dass er auf irgendetwas Schönes wartete.
Es fühlte sich wunderbar an.
„Ich glaube, es würde mir Spaß machen, wenn Sie mir zu Hilfe eilten", sagte er, während sie gemessenen Schrittes auf Stanhope Gate zuschlenderten. Das Wetter war schön, Miss Winslow war reizend, und Olivia war inzwischen ganz außer Hörweite.
Was konnte sich ein Mann an einem Nachmittag mehr wünschen?
Bis auf die Sache mit dem Nachmittag. Er blinzelte in den Himmel. Es war immer noch Vormittag.
„Das mit meiner Großmutter tut mir schrecklich leid", sagte Miss Winslow gefühlvoll.
„Tss, tss, wissen Sie denn nicht, dass Sie derartige Dinge nicht erwähnen sollten?"
Sie seufzte. „Wirklich? Ich kann mich nicht mal entschuldigen?"
„Natürlich nicht." Er grinste sie an. „Sie sollten es unter den Teppich kehren und darauf hoffen, dass ich es nicht bemerkt habe."
Zweifelnd hob sie die Brauen. „Dass ihre Hand auf Ihrem ... ähm ..."
Er winkte ab, obwohl er zugeben musste, dass er ihre Schamröte ziemlich genoss. „Ich kann mich an nichts mehr erinnern."
Einen Augenblick war ihr Gesicht völlig ausdruckslos, dann schüttelte sie den Kopf. „Die Londoner Gesellschaft verwirrt mich."
„ Sie folgt wirklich keinerlei erkennbarer Logik", stimmte er zu.
„Sehen Sie sich nur meine Lage an."
„Ich weiß. Eine Schande. Aber so funktionieren diese Dinge eben. Wenn ich Sie nicht will, und mein Onkel will Sie auch nicht ...", er beobachtete sie genau, um zu sehen, ob das für sie eine Enttäuschung darstellte, „... will Sie auch sonst keiner."
„Nein, das verstehe ich schon", sagte sie. „Ich finde es zwar schrecklich ungerecht..."
„Da stimme ich Ihnen zu", warf er ein.
„... aber ich kann es verstehen. Dennoch gibt es sicher eine ganze Menge Feinheiten, derer ich mir nicht einmal bewusst bin."
„Oh, natürlich. Zum Beispiel unsere Scharade hier im Park - es gibt eine ganze Reihe von Details, die korrekt ausgeführt werden müssen."
„Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden."
Er stellte sich ihr gegenüber. „Zum Beispiel kommt es darauf an, wie ich Sie ansehe."
„Wie bitte?"
Er lächelte auf sie hinab und blickte ihr anbetend ins Gesicht. „So zum Beispiel", murmelte er.
Ihre Lippen teilten sich, und einen Augenblick hörte sie auf zu atmen.
Es entzückte ihn, dass er diese Reaktion in ihr hervorrufen konnte. Noch mehr entzückte ihn aber, dass er gewusst hatte, dass sie nicht mehr atmete.
Himmel, er liebte es, wenn er die Frauen durchschaute.
„Nein, nein", mahnte er. „Sie können mich nicht so ansehen."
Sie blinzelte benommen. „Was?"
Er beugte sich ein Stückchen zu ihr hinunter und sagte in weithin hörbarem Flüsterton: „Die Leute schauen schon."
Sie riss die Augen auf, und er sah genau, in welchem Moment ihr Verstand die Arbeit wieder aufnahm. Sie versuchte, möglichst unauffällig nach links und nach rechts zu schauen, und richtete dann langsam und höchst verwirrt den Blick wieder auf ihn. Sie hatte keine Ahnung, was sie da tat.
„Das scheint Ihnen nicht besonders zu liegen", sagte er ihr. „Ich bin vollkommen ratlos", gab sie zu.
„Vermutlich wissen Sie deswegen nicht, was Sie tun", erklärte er freundlich. „Gestatten Sie, dass ich es Ihnen näherbringe: Wir sind im Park."
Annabel hob eine Augenbraue. „Dessen bin ich mir bewusst."
„Mit ungefähr hundert unserer nächsten Bekannten."
Wieder drehte sie den Kopf, diesmal Richtung Rotten Row, wo mehrere Grüppchen von Damen so taten, als würden sie nicht zu ihnen herschauen.
„Seien Sie nicht so auffällig", sagte er und nickte Mrs Brompton und ihrer Tochter Camilla zu, die sie unsicher anlächelten, als wollten sie sagen: Ich begrüße Sie zwar, aber vielleicht sollten wir lieber nicht miteinander sprechen.
Annabel wollte ärgerlich werden; wirklich, wer sah einen anderen denn so an? Aber dann musste sie sich dazu gratulieren, dass sie eine komplexe Miene erfolgreich interpretiert hatte.
So unhöflich sie auch gewesen war.
„Sie wirken verärgert",
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