Rendezvous im Hyde Park
kann."
Diesmal lachte er nicht, doch es schien ihn große Beherrschung zu kosten. „Sie sind ein richtiges Mädchen vom Land", sagte er.
Sie nickte.
„Ist es denn so schwer, einem Truthahn davonzulaufen?"
„Für mich nicht."
„Erzählen Sie weiter", drängte er. „Ich finde das faszinierend."
„Natürlich", erwiderte sie. „Sie haben ja keine Geschwister." „Ein Mangel, der mir nie so unangenehm bewusst geworden ist wie an diesem Abend. Denken Sie nur an die Titel, die ich hätte erringen können."
„Der Grey, der am ehesten Pirat werden könnte?", schlug sie vor und nickte zu seiner Augenklappe.
„Freibeuter, wenn ich bitten dürfte. Für einen Piraten bin ich zu elegant."
Sie rollte ein wenig mit den Augen und sagte dann: „Der Grey, der sich am ehesten auf einer Heide verläuft?"
„Sie sind grausam. Ich wusste die ganze Zeit, wo ich war.
Ich dachte eher an den Grey, der am ehesten ein Vermögen beim Wurfpfeilspiel gewinnt."
„Der Grey, der am ehesten eine Leihbücherei eröffnet?", versuchte sie es.
Er lachte. „Der Grey, der am ehesten eine Oper meuchelt."
Ihr blieb der Mund offen stehen. „Sie singen?"
„Ich habe es einmal versucht." Er beugte sich vertraulich zu ihr. „Ein Moment, der nie wiederholt werden sollte."
„Wie klug", murmelte sie, „vorausgesetzt, Sie wollen Ihre Freunde behalten."
„Oder meinen Freunden erlauben, dass sie ihr Gehör behalten."
Sie grinste. Ihr wurde schon wieder etwas schwindelig.
„Der Mr Grey, der am ehesten ein Buch schreibt!"
Er erstarrte. „Warum sagen Sie das?"
„I...ich weiß nicht", erwiderte sie, verblüfft angesichts seiner Reaktion. Er war nicht zornig, aber er wirkte urplötzlich todernst. „Ich finde eben, dass Sie sich unglaublich gut ausdrücken können. Ich habe doch sogar einmal zu Ihnen gesagt, Sie seien ein Poet."
„Wirklich?"
„Bevor ich wusste, wer Sie sind", erinnerte sie ihn. „Auf der Heide."
„Ach ja." Er presste die Lippen zusammen und dachte nach.
„Und Sie haben sich sehr besorgt um Romeo und Julia gezeigt. Das Stück, nicht die Figuren. Bei den Figuren waren Sie erstaunlich gefühllos."
„Irgendwer muss doch gefühllos sein", erklärte er.
„ Gut gesagt", sagte sie und schnaubte.
„Ich bemühe mich."
Dann erinnerte sie sich. „Ach ja, und dann ist da ja auch noch Mrs Gorely!"
„Tatsächlich?"
„Ja, Sie sind ein solcher Bewunderer. Ich sollte wohl mal wirklich eines ihrer Bücher lesen."
„Vielleicht gebe ich Ihnen eins meiner signierten Exemplare."
„O nein, das dürfen Sie nicht. Die sollten Sie für ihre echten Anhänger reservieren. Ich weiß ja nicht einmal, ob es mir gefallen wird. Lady Olivia scheint nicht viel davon zu halten."
„Ihre Cousine hingegen schon."
„Das ist richtig. Aber Louisa gefallen auch diese schrecklichen Schauerromane von Mrs Radcliffe, die ich nicht ausstehen kann."
„Mrs Gorely ist Mrs Radcliffe weit überlegen", sagte er entschieden.
„Sie kennen beide?"
„Natürlich. Es ist überhaupt kein Vergleich."
„Hmm. Nun, ich sollte es damit versuchen. Mir selbst ein Urteil bilden."
„Dann gebe ich Ihnen eins meiner unsignierten Exemplare."
„Sie haben mehrere Ausgaben?" Du liebe Güte, ihr war nicht bewusst gewesen, wie glühend er diese Autorin ver-ehrte.
Er zuckte mit den Schultern. „Ich hatte sie bereits, ehe ich auf die handsignierte Ausgabe stieß."
„Oh, natürlich. Daran habe ich gar nicht gedacht. Also gut, welches ist Ihr Lieblingsroman? Damit fange ich an."
Er dachte einen Augenblick nach und erklärte dann kopfschüttelnd: „Ich kann einfach keine Wahl treffen. Mir ge-fällt an jedem Buch etwas anderes."
Annabel grinste. „Sie klingen wie meine Eltern. Die haben das immer gesagt, wenn wir Kinder wissen wollten, wen von uns sie am liebsten hatten."
„Es ist ja auch etwas Vergleichbares", murmelte er.
„Wenn man das Buch zur Welt gebracht hat", erwiderte sie und presste die Lippen zusammen, um nicht laut her-auszulachen.
Er jedoch lachte nicht.
Sie blinzelte ihn überrascht an.
Und dann lachte er doch. Es war eher ein Glucksen, aber es war merkwürdig, fast als hinke er dem Witz hinterher, was ihm gar nicht ähnlich sah. Oder?
„Noch mehr Ehrlichkeit, Miss Winslow?", fragte er trocken, und sein Lächeln verwandelte die Frage in fast so etwas wie eine Liebkosung.
„Immer", sagte sie munter.
„Ich glaube, Sie ..." Im nächsten Moment unterbrach er sich.
„Was?" Sie lächelte beim Sprechen, doch dann sah sie, wie er
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