Rendezvous im Hyde Park
war, dass Geoffreys Witwe nicht schwanger und Sebastian der zukünftige Erbe des Earltums war, begab sich Newbury eilends zur Brautschau nach London. Eher wolle er sterben, so er-klärte er, als Sebastian alles erben zu lassen.
Der dieser Bemerkung innewohnende logischer Haken war dem Earl anscheinend nicht aufgefallen.
Und so fand Sebastian sich in einer merkwürdigen und unsicheren Lage. Falls der Earl eine Frau fand und mit ihr einen weiteren Sohn zeugte - und dazu gab er sich weiß Gott alle Mühe -, dann war Sebastian nichts als ein fashionabler Gentleman ohne Titel, wie es sie in London zuhauf gab.
Falls es Newbury allerdings nicht gelang, für Nachwuchs zu sorgen, oder, schlimmer noch, nur Töchter zustande brachte, würde Sebastian vier Häuser erben, jede Menge Geld und das achtälteste Earltum des Landes.
All das hieß, dass niemand recht wusste, wie man sich ihm gegenüber verhalten sollte. War er die beste Partie auf dem gesamten Heiratsmarkt oder nur einer von vielen Glücksrittern? Man konnte es einfach nicht wissen.
Es war wirklich zu amüsant. Zumindest für Sebastian.
Niemand wollte darauf setzen, dass er nicht der nächste Earl wurde, und so wurde er überallhin eingeladen - ein günstiger Umstand für einen Mann, der gutes Essen, gute Musik und gute Gespräche zu schätzen wusste. Die De-bütantinnen flatterten um ihn herum und sorgten für jede Menge Unterhaltung. Und was die reiferen Damen anging, diejenigen, die ihrem Vergnügen nachgehen konnten, wann und mit wem sie wollten ...
Nun, ziemlich oft wollten sie das mit ihm. Dass er gut aussah, war vorteilhaft. Dass er ein hervorragender Liebhaber war, war köstlich. Dass er eventuell der nächste Earl of Newbury war ...
Das machte ihn unwiderstehlich.
Im Moment jedoch, bei den Kopfschmerzen und der leisen Übelkeit, die ihn plagten, fühlte er sich alles andere als unwiderstehlich. Beziehungsweise würde er widerstehen, und zwar jeder Versuchung. Selbst wenn Aphrodite höchstpersönlich von der Decke geschwebt käme, auf ihrer Muschel und bis auf ein paar strategisch platzierte Blumen splitterfasernackt, hätte er ihr höchstwahrscheinlich nur vor die Füße gespien.
Nein, nein, sie hätte ganz nackt sein müssen. Wenn er schon die Existenz einer Göttin beweisen würde,, hier in diesem Zimmer, konnte er schon verlangen, dass sie nackt wäre. Das wäre ja wohl das Mindeste.
Allerdings hätte er ihr wohl auch dann vor die Füße gespien.
Er gähnte, verlagerte das Gewicht ein Stück auf die linke Hüfte. Er fragte sich, ob er wohl einschlafen würde. Die Nacht davor hatte er nicht gut geschlafen (wegen des Champagners), die Nacht davor auch nicht (aus keinem speziellen Grund), und das Sofa seines Vetters eignete sich genauso gut wie jeder andere Ort. Im Zimmer war es nicht sehr hell, vorausgesetzt, er hielt die Augen geschlossen, und bis auf Edwards Kaugeräusche war alles still.
Die Kaugeräusche. Bemerkenswert, wie laut sie waren, jetzt, wo er darauf aufmerksam geworden war.
Vom Gestank ganz zu schweigen. Fleischpastete. Wer aß denn Fleischpastete, wenn er bei jemandem in seinem Zustand saß?
Sebastian stöhnte auf.
„Wie bitte?", fragte Edward.
„Dein Essen", knurrte Sebastian.
„Möchtest du auch etwas?"
„Himmel, nein."
Sebastian hatte die Augen immer noch geschlossen, konnte aber praktisch hören, wie sein Vetter mit den Schultern zuckte. An diesem Morgen würde anscheinend keinerlei zärtliche Rücksichtnahme auf ihn verschwendet werden.
Newbury hatte es also auf eine neue Zuchtstute abgesehen. Eigentlich sollte ihn das nicht überraschen. Nun ja, er war ja auch nicht überrascht. Es war nur ...
Es war nur ...
Ach, zum Teufel. Er wusste nicht, was es war. Nichts war es jedenfalls nicht.
„Wer ist es denn diesmal?", erkundigte er sich, schließlich war es nicht so, als interessierte ihn die Sache überhaupt nicht.
Edward hielt kurz inne, vermutlich, um herunterzuschlucken, und sagte dann: „Vickers' Enkelin."
Sebastian ließ sich das durch den Kopf gehen. Lord Vickers hatte mehrere Enkelinnen. Was nicht verwunderlich war, schließlich hatte er mit Lady Vickers ungefähr fünfzehn Kinder. „Na, schön für sie", brummte er.
„Hast du sie schon mal gesehen?", fragte Edward.
„Du etwa?", gab Sebastian zurück. Bei seiner Ankunft in London war die Saison schon weit fortgeschritten gewesen.
Wenn das Mädchen dieses Jahr neu war, würde er es nicht kennen.
„Sie stammt vom Land, habe ich gehört, und ist so
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