Rendezvous in Kentucky
auf dem Tisch erregten ihre besondere Aufmerksamkeit. Mit feuchten Augen nahm sie die erste in die Hand. Sie zeigte Agnes, wie sie mit straffen Schultern dastand. Die Energie und Vitalität dieser Frau kamen in der Holzskulptur voll zur Geltung.
Linnet wandte sich den anderen Arbeiten zu. Die zweite Figur stellte die beiden Starkzwillingspärchen dar — wehende Röckchen und Jacken vermittelten, welche Freude die Kinder bei ihrem Kreisspiel empfunden haben mußten. Das dritte Kunstwerk zeigte Gaylon und Doll bei ihrer liebsten Beschäftigung. Die beiden saßen auf ihrer Bank — Gaylon schnitzte an einem Stock, und Doll lachte.
Aus der vierten Schnitzerei wurde Linnet nicht ganz schlau. Jessie Tuckers stupsnasiges Gesicht war unverkennbar — aber wer war das Mädchen, das sich zu ihm hinunterbeugte? Linnet dachte sofort an Amy Trulock. Das Mädchen lächelte leicht und sah aus, als ob es nichts Wichtigeres auf der Welt gäbe als das, was Jessie Tucker gerade sagte. Linnet freute sich nicht besonders über ein Abbild von Amy Trulock, aber die drei anderen Skulpturen bedeuteten ihr sehr viel. Sie setzte sie liebevoll auf das Kaminsims und stellte die vierte etwas abseits.
Es war schon dämmrig, als ein Klopfen ertönte. Nervös fuhr Linnet noch einmal über Kleid und Haar, ehe sie öffnete. Devon stand vor ihr. Linnet starrte ihn nur an, sein Anblick hatte ihr die Sprache verschlagen.
»Willst du mich hier draußen erfrieren lassen, oder darf ich reinkommen?« Er lächelte, und sie trat zurück.
»Natürlich, bitte komm herein.«
Er betrat den Raum und sah sich um. »Hast du alles ordentlich vorgefunden, als du wiedergekommen bist?«
Linnet ging zum Herd und rührte noch einmal das Stew um. Devon verhielt sich so, als würde er Verwandte besuchen! »Ja.« Sie lächelte mühsam. »Es war alles perfekt. Danke, daß du dich um meine Hütte gekümmert hast. Aber besonders gefreut habe ich mich darüber.« Sie trat zum Kamin und fuhr sacht mit den Händen über die drei ersten Figuren. Die vierte beachtete sie gar nicht.
Devon bemerkte ihr Zögern. Ein verletzter Ausdruck trat in seine Augen. Er stellte sich neben sie und hob die verschmähte Figur hoch. »Diese hier magst du wohl nicht?« fragte er leise.
»Ich... sie ist recht hübsch«, entgegnete sie zögernd.
»Es war gar nicht so leicht, Jessies Gesichtsausdruck einzufangen. Der Junge ist dauernd in Bewegung. Aber du warst viel leichter zu porträtieren.«
Linnet hielt beim Tischdecken inne. »Ich?« fragte sie ungläubig.
Devon sah sie überrascht an. »Vielleicht habe ich dich ja nicht so gut getroffen. Hast du dich wirklich nicht erkannt?«
Sie stellte den Teller hin und nahm ihm die Schnitzerei aus der Hand. Sie musterte das Mädchen genau. Sah sie wirklich so jung, so naiv aus? »Nein, ich habe wirklich nicht gewußt, daß es mich darstellen sollte.« Sie warf ihm einen Blick zu.
Ein Lächeln erleuchtete seine Augen, als er bemerkte, daß ihre Finger jetzt liebevoll über die weichen Konturen der Figur glitten. Jungenhaft schwang er ein Bein über die Stuhllehne und setzte sich hin. »Ich habe riesigen Hunger. Gaylon hat in den letzten Tagen versucht, mich mit seinem Fraß umzubringen.«
Sie legte ihm eine enorme Portion vor. Devon sagte kein Wort über Cord. Linnet wußte nicht, ob sie darüber nun wütend oder erleichtert sein sollte.
»Wen hätte ich denn außer dir schnitzen sollen?« fragte er mit vollem Mund. »Hier sieht dir keines der Mädchen ähnlich.«
»Ich... ich weiß nicht. Ich dachte, es wäre jemand, den du früher einmal gekannt hast.«
Er runzelte die Stirn. »Du bist eine schlechte Lügnerin.«
Die Stille im Raum war fast mit Händen zu greifen. »Devon, ich wollte dir erzählen...«
Er fuhr auf. »Du mußt mir überhaupt nichts erzählen! Gar nichts! Du bist meine Lehrerin, mehr nicht. Alles, was du tust, ist deine Sache — nicht meine! Und jetzt wollen wir uns über Dinge unterhalten, die uns beide interessieren, wie zum Beispiel: Ich hätte gern noch ein Stück Kuchen.« Er lächelte sie an. Doch seine Augen funkelten nicht spöttisch wie sonst. Sie blieben hart und kalt.
»In Ordnung«, sagte sie nach einer kleinen Pause. »Ich muß deine Gefühle akzeptieren.« Sie schnitt ihm ein riesiges Stück Kuchen ab.
»Gaylon hat mir erzählt, daß du deinen Urgroßvater besucht hast«, begann sie leise.
Devon beachtete sie nicht.
Ärgerlich nahm sie ihm den leeren Teller ab. »Vielleicht interessiert dich ja mein Leben
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