Rendezvous in Kentucky
Hände hoch. »Mit denen kann ich Ihnen nicht helfen.« Die alte Frau schien darauf zu warten, daß Linnet angeekelt vor ihr zurückwich oder zumindest ein Zeichen des Entsetzens von sich gab. Doch sie hatte sich getäuscht. Linnet blickte gelassen und vertrauensvoll auf die Alte und bat: »Bitte, sagen Sie mir, was ich tun muß.«
Phetna wandte sich wieder ihrem Patienten zu. »Kochen Sie Wasser ab! Haben Sie Seife?«
»Ja, natürlich. Und wenn wir noch mehr brauchen sollten, kann ich mir welche leihen.«
Da schnaubte Phetna verächtlich: »Das ist allerdings eine Überraschung. Hätte ich diesem Nest nicht zugetraut!«
Linnet hatte den Kessel schon gefüllt und nahm die Kernseife aus dem Regal.
»Ist das Ihr Kind?« fragte Phetna unvermittelt. Ihre Stimme hatte einen zärtlichen Klang angenommen, war nicht mehr so schrill.
»Ja. Sie heißt Miranda.«
Phetna drehte sich schnell von dem schlafenden Kind weg. »Am besten geben Sie sie morgen früh zu ’ner Nachbarin. Kinder schreien immer, wenn sie mich sehen«, knurrte sie.
Linnet protestierte energisch: »Meine Tochter muß lernen, daß jemand mit einem entstellten Körper nicht gleichzeitig ein schlechter Mensch sein muß!«
»Das wird nicht so einfach sein, wenn sie bei meinem Anblick anfängt zu weinen.«
»Ich glaube, das Wasser ist jetzt heiß genug«, meldete Linnet. »Erklären Sie mir bitte, wie ich ihn waschen muß?« Linnet schnitt die zerfetzten Hosen von Devons Beinen und besah sich kummervoll die Brandwunden. Obwohl sie nicht so schlimm waren wie die auf dem Rücken, den Schultern und den Armen, seufzte sie.
»Besser, Sie gewöhnen sich an diesen Anblick. Es wird keine Stelle an seinem Körper geben, die Sie in der nächsten Woche nicht kennenIernen werden wie Ihre Westentasche.«
»In der nächsten Woche? Denken Sie denn, daß er in einer Woche schon wieder gesund ist?«
»Nein, nicht gesund«, antwortete Phetna. »Aber auf dem Weg der Besserung. In drei Tagen werden wir wissen, ob er überlebt. Jetzt nehmen Sie das Tuch, und fangen Sie an, ihn zu waschen — aber langsam und vorsichtig, damit nicht noch mehr Blasen aufplatzen. Wasser ist ein Gottesgeschenk für jemanden mit solchen Verbrennungen. Es kühlt und lindert den Schmerz.«
Linnet benötigte Stunden, um Devons Körper zu waschen. Dabei ging sie so sanft wie möglich vor, um ihm nicht noch mehr Schmerzen zu bereiten.
»Sollten wir nicht versuchen, ihm etwas zu essen zu geben?« fragte Linnet.
»Nein, noch nicht«, wehrte Phetna ab. »Er ist so erschöpft, daß er es wahrscheinlich nicht bei sich behalten würde. Sind Sie fertig?«
»Ja«, seufzte Linnet und wrang den Lappen aus.
»Gut. Dann können Sie ja jetzt runter zum Bach gehen, neues Wasser holen, es abkochen und wieder von vorn anfangen.« Die alte Frau beobachtete Linnet mit wachsamen Augen, doch Linnet zuckte nicht mit der Wimper. Sie nahm zwei Eimer und verließ das Haus. Phetna beugte sich über Devons nackten Körper, der auf dem Strohsack lag.
»Sind Sie wach, Junge?« fragte sie scharf. Devon gab ein gurgelndes Geräusch von sich — er hatte sie gehört.
»Ich weiß, es tut verdammt weh. Wir versuchen unser Bestes, um die Pein zu lindern. Sie haben im Moment nur eine große Aufgabe — zu leben! Hören Sie? Am Leben bleiben und das Atmen nicht vergessen. Die kleine Frau hier wird Sie noch ein paarmal waschen. Das wird Ihnen gut-tun. Vergessen Sie nur nie zu atmen, und verlieren Sie die Hoffnung nicht. Der Schmerz vergeht, und bald ist er nur noch Erinnerung.«
Linnet kniete am Bach nieder. Sie riß eine Handvoll Moos aus der Erde und reinigte damit die Eimer. Dann füllte sie sie wieder. Sie war den Tränen nahe. Die Ereignisse dieses Tages waren einfach zuviel für sie gewesen: Devons dumme Anschuldigungen, ihr Streit, Miranda im letzten Moment vom sicheren Tod errettet... Und jetzt lag der Mann, den sie liebte, in ihrer Hütte, dem Tode nahe, und sein Körper war eine einzige große Brandblase. Mit müden Bewegungen trug sie die Eimer in das Blockhaus. Was immer sie für ihn gefühlt hatte, zählte nicht mehr. Sie wollte nur noch eins — ihn retten.
Linnet sah flehend in den klaren dunklen Himmel und sprach ein Gebet, in dem sie um Devons schnelle Genesung bettelte. Ihre Schultern schmerzten, und die Eimer waren fast zu schwer für sie. Doch sie kümmerte sich nicht darum. Es gab Wichtigeres zu tun, als sich um ihre Wehwehchen zu kümmern.
Phetna saß am Tisch und löffelte eifrig Eintopf in sich
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