Rendezvous in Kentucky
aufgebracht wegen Phetna war. Es ist ihre Art ebenso wie ihr Aussehen. Immer erteilt sie Befehle, ist herrisch gegen jeden. Wenn sie es nur einmal über sich brächte, >Bitte< zu sagen...«
»Bitten«, entgegnete Linnet böse. »Als ich vier Männer gebeten — angefleht — habe, Devon zu meiner Hütte zu bringen — was meinen Sie, haben sie getan? Sie haben sich geweigert, rundheraus geweigert!«
»Geweigert?« rief der Richter dramatisch aus. »Wer war das? Wer hat sich geweigert, Ihnen zu helfen?«
»Ach, das interessiert doch jetzt niemanden mehr. Netties Familie hat mir dann geholfen. Aber erzählen Sie mir nicht mehr, wie schlecht Phetna ist, ja? Sie war sehr gut zu mir und bemüht sich nach Kräften zu helfen.«
Der Richter nahm ihr die vollen Wassereimer ab, und sie gingen zur Hütte. »Tut mir leid, daß meine Bemerkungen Sie aufgeregt haben, Linnet. Ich dachte nur, es wäre gut, wenn Sie über Phetna Bescheid wissen.«
»Aber nein. Wirklich?« erwiderte sie ironisch. »Ich muß gehen, weil ich mich um Devons Wunden kümmern muß!«
Der Richter hielt ihr die Haustür auf. Als er Devons nackten Körper erblickte, erstarrte er zu einer Salzsäule. Sein Gesicht nahm eine rötliche Farbe an.
Linnet unterdrückte mühsam das Gelächter, das in ihr aufstieg. »Phetna meinte, daß Brandwunden an der frischen Luft am besten heilen.«
»Ja, ja. Wird schon stimmen.« Der Richter sah verlegen zur Seite. »Aber könnten Sie... ich meine, wäre es möglich, daß Sie wenigstens einen, hm, bestimmten Körperteil zudecken?«
Phetna lachte laut auf, und der Richter drehte sich gekränkt zu ihr um. Obwohl er wußte, welcher Anblick ihn erwartete, drehte sich ihm der Magen um.
Linnet bemerkte den angeekelten Blick, mit dem er die alte Frau maß. Kühl nahm sie ihm die Eimer ab und sagte barsch: »Ich habe zu arbeiten. Würden Sie mich jetzt entschuldigen?«
Doch der Richter ließ sich nicht so einfach abspeisen. »Also, Sie sollten ihn wirklich zudecken. Denken Sie doch an Miranda!«
Linnet sah ihm gerade in die Augen. »Devons Wohlergehen liegt mir im Moment mehr am Herzen als Mirandas Schamgefühle. Außerdem dürften meine Tochter solche Dinge überhaupt noch nicht interessieren! Ich werde Miranda nicht zu einem selbstsüchtigen Menschen erziehen, dem die eigenen Empfindungen wichtiger sind als ein todkranker Mann! Jetzt gehen Sie bitte, ich habe zu tun!«
Der Richter starrte sie wütend an, drehte sich um und knallte die Haustür hinter sich zu.
Phetnas anhaltendes Gegacker und das Zuschlagen der Tür weckten Miranda auf. Schlaftrunken sah sich das Kind um. Es war erstaunt über die Veränderungen, die in seiner vertrauten Umgebung stattgefunden hatten.
Linnet bemerkte betroffen, wie Phetna sofort ihr Gesicht wegdrehte, damit Miranda es nicht sehen konnte. Linnet holte tief Luft und wußte, daß sie diese Situation durchstehen mußte — sonst würde Phetna nie ihre Menschenscheu verlieren, und Miranda liefe Gefahr, ein albernes, ängstliches Kind zu werden. »Phetna, ich habe jetzt dringend bei Devon zu tun. Würden Sie so lieb sein und für Miranda sorgen? Sie muß zur Toilette gebracht werden. Vielleicht ist sie auch schon naß...«
»Nein, das können Sie nicht von mir verlangen«, widersprach ihr Phetna verzweifelt.
Linnet blickte noch nicht einmal von Devons Rücken auf. Sie fuhr fort, vorsichtig die Haut zu säubern. »Ich kann mich doch nicht teilen! Ich muß mich jetzt um ihn kümmern, das wissen Sie ganz genau. Ich habe keine Zeit für Miranda. Bitte seien Sie so gut, und helfen Sie mir ein wenig.«
»Aber ich kann sie doch nicht nach draußen führen — sie sind doch dort draußen!«
Linnet drehte sich zu ihr um. »Ich glaube, Sie meinen die Leute von Spring Lick. Wahrscheinlich haben Sie recht — aber für mich gibt es Wichtigeres an einem Menschen als ein hübsches Gesicht!«
Phetna blinzelte verwirrt, ein Augenlid zuckte unkontrolliert. »Das sagen Sie — aber was meint Ihre Kleine dazu?« fragte Phetna leise und verbarg ihr Gesicht.
»Miranda«, lockte Linnet und streckte die Arme nach ihr aus. »Komm her, Miranda. Ich muß leider sagen, daß Miranda in ihrem kurzen Leben schon viele >Mütter< gekannt hat. Erst als sie ein Jahr alt wurde, hat sie ihre eigene Mutter richtig kennengelernt. Auf dem Treck nach Kentucky-brach nämlich eine Epidemie aus, und da habe ich mich als Krankenschwester betätigt. Die anderen Frauen haben damals abwechselnd für meine Kleine gesorgt. Hier in
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