Rendezvous in Kentucky
du?«
»Weißt du zufällig, wo der Richter ist?«
»Er ist auf der Jagd mit meinem Alten. Sie haben sich hoffentlich irgendwo untergestellt. Werden ja sonst pudelnaß. Was willst du denn von ihm, he?«
»Hat er etwas davon gesagt, daß er noch bei Phetnas Hüt-
te vorbeischauen will?« fragte Linnet bang und schluckte all ihren Stolz hinunter.
»Was hat er denn im Haus dieser alten Hexe zu suchen? Wir in Spring Lick mögen solche Leute nicht. Die Frau ist doch abgrundtief schlecht!«
»Schlecht?« fragte Linnet fassungslos. »Aber — Phetna ist wirklich eine sehr nette Frau. Sie ist entstellt, ja, aber deshalb ist sie trotzdem gut und hilfsbereit! Schlecht, daß ich nicht lache!«
»Klar, daß du so denkst. Bist ja selbst nicht viel besser als sie! Aber als gute Christin warne ich dich: Es wäre besser, die Alte verläßt so schnell wie möglich dein Haus, sonst... Nun, es wäre wirklich gescheiter, sie ginge, so rasch es geht. Denk an meine Worte.«
Linnet machte auf dem Absatz kehrt und ließ die fanatische Frau einfach stehen.
»Merk dir meine Worte«, rief Jule ihr noch hinterher.
Fröstelnd trat Linnet in die behagliche Wärme ihres Hauses. »Ich kann ihn nicht finden. Jule sagte mir, er sei auf die Jagd gegangen. Denken Sie, er hat sein Versprechen vergessen?«
Phetna schnaubte voller Verachtung: »Es geht nicht drum, ob er’s vergessen hat, sondern darum, ob er sich überhaupt daran erinnern will! Der Blick, den er heute morgen auf Slades Jungen geworfen hat — nun, der war nicht gerade liebevoll! Ich glaube, daß er sich kein Bein ausreißen wird, um ihm zu helfen!«
»Sie könnten recht haben.« Linnet wärmte ihre klammen Hände am Kaminfeuer. »Wie weit ist es denn bis zu Ihrer Hütte?«
»Sie denken doch nicht dran, allein hinzugehen, oder?«
»Wie weit ist es bis zu Ihrer Hütte?« beharrte Linnet.
»Mädchen — Sie sind noch nicht lange genug in Kentucky, um die Gefahren zu kennen, die hier an jeder Ecke lauern. Wir sind hier nicht im Osten. Die Rothäute greifen zwar nicht mehr die Siedlungen an, wie sie es getan haben, als ich noch ein kleiner Fratz war — aber warum denken Sie, leben die Leute hier in solchen Haufen zusammen? Weil sie sich so gern haben? Nein, weil die Indianer lieber eine einsame Farm überfallen. Am liebsten ist ihnen, wenn ein junges Mädchen allein daherkommt! Wissen Sie eigentlich, was sie mit Ihnen machen, nachdem sie Sie gefangen haben?«
»Ich weiß Bescheid«, erwiderte Linnet ruhig. »Ich weiß, was dann mit mir geschieht. Wo könnte ich denn sonst Hagebutten um diese Jahreszeit kriegen?«
»Nirgendwo«, schüttelte Phetna den Kopf. »Es ist noch zu früh im Jahr für Junirosen.«
»Gut. Der Vorrat liegt also ungenutzt in Ihrer Hütte. Wir brauchen ihn aber dringend hier. Also?«
Phetna starrte sie voll widerwilliger Bewunderung an. »Sie haben mir zwar gesagt, daß Sie alles für diesen Jungen hier tun würden, aber ich habe nicht gedacht, daß Sie auch Ihr Leben aufs Spiel setzen würden!«
»Warum sollte es denn so gefährlich sein? Sie leben ja auch da draußen allein. Schließlich sind Sie auch eine Frau!«
Phetna warf den Kopf zurück und lachte schallend. Noch immer kichernd sagte sie: »Es gibt einen kleinen Unterschied zwischen uns beiden! Also gewöhnlich lassen mich die Indianer in Ruhe. Aber vor acht Jahren haben sie mir den Sohn des Häuptlings gebracht. Er hatte schwere Brandwunden. Sie haben mich sorgsam bewacht, als ich ihn untersucht habe. Tja, er ist wieder gesund geworden. Seit der Zeit bringen mir die Rothäute immer wieder Geschenke. Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht was zu essen auf meiner Schwelle finde. Manchmal bringen sie auch noch Leute mit Brandwunden vorbei. Zuweilen kommt auch der Häuptlingssohn, dem ich damals das Leben gerettet habe. Tja, das ist der Grund, weshalb ich dort so ruhig leben kann. Aber Sie — Sie wären Freiwild für einen jungen Krieger!«
Linnet schüttelte ihren nassen Schal so nah vor dem Feuer aus, daß die Wassertropfen in den Flammen zischten. »Ich glaube, ich habe keine andere Wahl. Devon braucht dringend die Hagebutten, die in Ihrer Hütte sind. Ich bin die einzige, die sie holen kann.«
Phetna merkte, daß jedes weitere Wort verschwendete Zeit wäre. »Sind Sie eigentlich immer so dickköpfig?«
Linnet nahm die Frage sehr ernst: »O ja, ich glaube schon. Manchmal muß man einfach bestimmte Dinge tun, weil sie nötig sind. Wenn andere das Vorhaben nicht billigen, dann muß man sich
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