Rendezvous in Kentucky
Spring Lick war sie immer bei Nettie, wenn ich unterrichten mußte. Einen Vorteil hat diese Erziehung gehabt: Miranda weiß nicht, was das Wort >Fremder< bedeutet! So, und jetzt komm her, Miranda!« Sie drehte das Kind so, daß es Phetna ansehen mußte. »Das ist — ich kenne Ihren Nachnamen nicht...«
»Ich auch nicht. Hab’ ihn vergessen«, brummte Phetna und sah zögernd in das weiche, runde Gesicht des kleinen Mädchens.
»Miranda, das ist Tante Phetna. Sie wohnt jetzt bei uns. Willst du zu ihr gehen? Sie bringt dich nach draußen.« Zu Linnets großem Kummer verzog sich das Gesicht der Kleinen weinerlich. Sie versteckte den Kopf an der Brust der Mutter und wimmerte leise.
»Ich hab’s Ihnen doch gesagt! Sie halten meinen Anblick vielleicht aus, aber ein Kind kann soviel Scheußlichkeit nicht ertragen.« Phetnas schrille Stimme verstummte rasch, als Linnet Miranda in ihren Schoß drückte.
»Miranda, sieh mich an.« Das Kind war nur zu froh, den grausigen Anblick nicht länger ertragen zu müssen, und schaute seine Mutter an. »So, Miranda. Tante Phetna sieht zwar anders aus als wir, aber du brauchst keine Angst
vor ihr zu haben.« Linnet berührte ein Auge. »Sieh mal. Auge. Wo ist Mirandas Auge?« Sie führte die pummelige Kinderhand, und Miranda berührte jauchzend ihr eigenes Auge.
»Wo ist Mamas Auge?« Miranda krähte vergnügt auf — dieses Spiel begann ihr zu gefallen. »Jetzt wieder Mirandas Auge.« Wieder berührte Miranda ihr Auge. »Jetzt das Auge von Tante Phetna.«
Phetna beobachtete fassungslos, wie der kleine Finger, ohne zu zögern, ihr wulstiges Augenlid berührte.
»Jetzt weiter, Miranda«, forderte Linnet. »Mamas Nase, Mirandas Nase, Tante Phetnas Nase.« Das Baby lachte hell auf. Linnet wandte sich zufrieden an Phetna: »Es wird noch ein paar Minuten dauern, aber sie wird ihre Scheu vor Ihnen ziemlich schnell überwinden. Lassen Sie sie einfach Ihr Gesicht abtasten, damit sie sieht, daß Sie keine Grimassen schneiden, um ihr Angst zu machen, sondern daß Ihr Gesicht nun einmal so ist.«
Phetna war sprachlos. Seit zwölf Jahren — seit dem Tag des Brandes — hatte sie niemandem erlaubt, ihr Gesicht zu berühren. Auch sie selbst hatte ihren Körper nur widerwillig und voller Ekel angefaßt. Doch Miranda war noch klein und unbefangen — sie konnte noch nicht wissen, was ein mißgestalteter Mensch erdulden mußte. Für sie war das schreckliche Gesicht jetzt einfach eine Tatsache. Phetna nahm das Kind mit nach draußen, und Linnet blieb mit Devon allein zurück.
Sanft versorgte sie seine Wunden, und als sie in die Nähe seines Gesichts kam, beugte sie sich nieder und hauchte einen Kuß auf seine warme Wange. »Du wirst bald gesund sein, Devon! Dann wirst du wieder herumlaufen und mit mir streiten wollen!« Unter Plaudern und zärtlichem Lachen wusch sie ihn weiter. Ihre Liebkosungen wurden immer gewagter, weil sie wußte, daß er sie nicht hören konnte. Der hilflose Mann neben ihr schien ein ganz anderer zu sein, als der, dem sie gestern haßerfüllt entgegengeschleudert hatte, daß sie ihn nicht mehr liebte.
Phetna und Miranda stürmten ins Haus und schüttelten sich vor Lachen. Phetnas Augen funkelten fröhlich, als sie sagte: »Ich glaube, wir warten den Schauer besser hier drinnen ab. Der >arme< Richter — muß in diesem Wetter auch noch ausreiten!«
»Warum mußte er denn so dringend weg?«
Phetna wies auf Devon: »Er braucht dringend Nahrung, etwas Flüssiges. Am besten wäre jetzt Hagebuttentee. Ich hatte auch einen Beutel Hagebutten mit. Aber als das Pferd bockte, habe ich den Beutel verloren. Der dumme Gaul hat dann den kümmerlichen Rest kaputtgetrampelt! Der Richter hat mir versichert, daß er mir heute mehr holen wird. Aber bis jetzt ist er ja noch nicht wieder aufgetaucht!«
Linnet sprang sofort auf und griff nach ihrem Umschlagtuch. »Ich laufe rasch zu ihm rüber und frage, wo er bleibt!« Sie legte den Schal um ihren Kopf und verließ das Haus. Der Regen war eiskalt und schon bald war sie völlig durchnäßt. In Windeseile war sie am Haus des Richters angelangt und klopfte energisch an die Tür. Doch niemand öffnete.
Obwohl ihr der Gedanke widerstrebte, machte sie sich zu Jule Yarnall auf. Sie würde bestimmt wissen, wo Talbot sich aufhielt.
Jules Gesicht glänzte fett und selbstgefällig, als sie die Tür öffnete. Sie forderte Linnet nicht auf hereinzukommen. Es machte ihr anscheinend nichts aus, die junge Frau im Regen stehen zu lassen.
»Was willst
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