Rendezvous mit Biss: Roman (German Edition)
aufbrechen. Geh du ruhig in dein Spielzimmer, ich finde allein raus.«
»Ganz wie du willst«, sagte er und verschwand so geräuschlos, dass ich gar nicht mitbekam, wie er den Raum verließ. In meinem Kopf breiteten sich nebelhafte Träume aus, und statt zu gehen, ließ ich mich wieder auf die Couch sinken. Bilder stiegen vor meinem geistigen Auge auf. Farben rauschten und wogten wild durcheinander. Das kommt vom Absinth, dachte ich. Es war mein letzter vernünftiger Gedanke.
Kapitel 7
Der Himmel war mitternachtsblau,
wie warmes, tiefes, blaues Wasser;
der Mond lag darauf wie eine Seerose und
schien in einer unsichtbaren Strömung
vorwärts zu treiben.
Willa Cather
I ch ergab mich dem Absinth und den Träumen, die er mit sich brachte. Das Gesicht, das in meinem Inneren erschien, gehörte zunächst zu Darius, verwandelte sich dann jedoch in George Gordon, Lord Byron, den Mann, den ich einst zu sehr geliebt hatte. Ich erinnerte mich nur zu gut an Byrons Unmoral und Scharfsinn und begriff in einem kurzen Moment der Klarheit, dass ich mein Herz immer an denselben Typ Mann verloren hatte. Und meistens – nein, im Grunde immer – zerstörte ich diese Männer am Ende.
Ich erinnerte mich an mein erstes Treffen mit Byron in England und an die dekadente Affäre, die diesem Treffen gefolgt war. Ich war zu weit gegangen, hatte meinen Bedürfnissen nachgegeben, ihn gebissen und beinahe vollkommen leer getrunken. Nachdem ich Byron zu einem Arzt gebracht hatte, der ihm das Leben rettete, schämte ich mich für meine Tat. Ich floh auf den Kontinent, entschlossen, ihn niemals wiederzusehen, und beunruhigt darüber, dass ich die Kontrolle verloren und mich in einen Menschen verliebt hatte.
Ich erinnerte mich auch an die Zeit in Italien im Jahr 1820, also vor noch gar nicht langer Zeit, wenn man mit dem Maß des ewigen Lebens misst. Immer, wenn ich besonders niedergeschlagen war, kehrte ich in meine Villa am Rande von Montespertoli zurück, einer Stadt auf einem Hügel einige Kutschenstunden von Florenz entfernt. Heutzutage benötigte man mit dem Auto nur noch etwa zwanzig Minuten. Vielleicht, dachte ich, während sich Vergangenheit und Gegenwart in meinem benebelten Gehirn vermischten, sollte ich dort hinfahren und mir über meine Gefühle klarwerden. Ich musste Darius endgültig aus meinen Gedanken verbannen – oder einen Weg finden, wie wir zusammenbleiben konnten. In mir keimte der Verdacht auf, dass Darius immer wieder zur Stelle sein würde, wenn ich erneut einen Mann zerstört hatte, den ich liebte. Ich verdrängte die Vorstellung und dachte lieber wieder an Italien.
Ich erinnerte mich, wie ich in die sanfte, graue Abenddämmerung der Toskana geblickt und mich rastlos und furchtbar gelangweilt gefühlt hatte. In diesem Zustand des Überdrusses streifte ich durch die großen Hallen und wunderschön eingerichteten Räume, bis ich schließlich in die Küche gelangte und Dulcinea, die spanische Köchin, bat, mir Wildschwein zu servieren. Das Essen wurde in dem langen, rustikalen Speisesaal aufgetischt, der älter war als der Rest des Gebäudes. Während ich die Stücke rohen Fleisches verschlang, betrachtete ich die Streitäxte und Rüstungen an den Wänden. An einigen konnte man noch die rostigen Flecken vom Blut der Vorbesitzer erkennen. Ich schüttelte den Kopf über die menschliche Neigung, Krieg zu führen – es war so barbarisch und grausam und vollkommen überflüssig. Die Nacht kroch in den Saal, Dunkelheit umfing mich. Ich fragte mich, wie ich die langen Stunden, die sich endlos vor mir auszudehnen schienen, herumbringen sollte.
Traurigkeit, auch heute noch mein stetiger Begleiter, erfüllte mein Herz, und ich verfluchte meine Unsterblichkeit und bedeutungslose Existenz. Es sollte noch fast zwei weitere Jahrhunderte dauern, bis ich endlich einen Sinn im Leben fand. In jener schmerzlichen Stimmung war selbst der Besuch meiner Mutter willkommen gewesen, den sie zwar nicht angekündigt, mit dem ich jedoch gerechnet hatte.
Kurz nach meiner Ankunft in der Villa hatte Marozia mich in einem Brief gebeten, einem Mann namens Pietro Gamba Unterschlupf zu gewähren. Er erreichte die Villa ein paar Tage später kurz vor Sonnenaufgang, extrem erschöpft und außerordentlich nervös. Ich wies meine Diener an, ihm das »Gelbe Haus« herzurichten, ein entzückendes, mit Stuck verziertes Cottage in der Nähe der Olivenhaine an der Grenze meines Grundstücks. Ich beachtete ihn nicht weiter, denn Gamba verließ das
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