Rendezvous mit einem Mörder
ihren Monitor gestarrt und nacheinander zahllose Namen aus DeBlass’ Terminkalender überprüft hatte, war Eve erschöpfter als nach einem Marathon.
Obgleich Feeney ihr einen Teil der Namen abgenommen hatte, um sie innerhalb wesentlich kürzerer Zeit an seinem deutlich leistungsstärkeren Kasten zu überprüfen, würde es eine Weile dauern, bis die Liste vollständig wäre.
Sharon war anscheinend sehr beliebt gewesen.
In der Überzeugung, dass Diskretion sie weiter brächte als aggressives Auftreten, kontaktierte Eve Sharons Kunden persönlich per Tele-Link, erklärte ihnen, worum es ihr ging, und bat diejenigen, die sich über ihren Anruf echauffierten, wegen der von ihnen versuchten Behinderung der Polizeiarbeit freundlich auf die Wache.
Bis Mitte des Nachmittags hatte sie mit dem ersten Dutzend Männer gesprochen, fuhr noch einmal ins Gorham und besuchte Charles Monroe – DeBlass’ Nachbar und gleichzeitig der elegante Mann aus dem Fahrstuhl –, der ganz offensichtlich gerade eine Kundin unterhielt.
Eingehüllt in einen schwarzen Seidenmorgenmantel und in den Geruch nach heißem, schwülem Sex, öffnete ihr Charles die Tür und bedachte sie mit einem warmen Lächeln.
»Tut mir furchtbar Leid, Lieutenant. Meiner Drei-Uhr-Verabredung stehen noch fünfzehn Minuten zu.«
»Ich werde so lange warten.« Ohne eingeladen worden zu sein, trat Eve über die Schwelle. Anders als DeBlass’ Apartment war dieses hier mit tiefen, weichen Ledersesseln und dicken Teppichen bestückt.
»Ah… « Belustigt blickte Charles in Richtung einer diskret geschlossenen Tür am Ende eins kurzen Flurs. »Wissen Sie, Diskretion ist das A und O meines Berufs. Meine Klientin wäre sicher einigermaßen beunruhigt, wenn sie wüsste, dass ich die Polizei in der Wohnung habe.«
»Kein Problem. Sie haben doch sicher eine Küche?«
Er stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. »Aber sicher. Immer geradeaus. Fühlen Sie sich wie zu Hause. Es wird nicht lange dauern.«
»Lassen Sie sich ruhig Zeit.« Eve schlenderte in die Küche, die im Gegensatz zum Wohnbereich eher spartanisch eingerichtet war. Es schien, als verbrächte Charles nur wenig Zeit damit, daheim zu essen. Trotzdem besaß er statt einer Kühlzelle einen ausgewachsenen Kühlschrank, in dem Eve zu ihrer großen Freude tatsächlich eine kalte Pepsi fand. Zufrieden setzte sie sich an den Tisch, um den Drink zu genießen, während Charles seine Drei-Uhr-Klientin weiter glücklich machte.
Bald schon hörte sie das leise Murmeln eines Mannes und das helle Lachen einer Frau, bevor sich Charles mit seinem nonchalanten Lächeln zu ihr in die Küche gesellte.
»Tut mir Leid, dass ich Sie habe warten lassen.«
»Kein Problem. Erwarten Sie noch jemanden?«
»Nicht vor heute Abend.« Er holte sich ebenfalls eine Pepsi, brach das Frischesiegel am Ende der Tube und schüttete den Inhalt in ein hohes Glas. Dann rollte er die Tube zu einem Ball zusammen und warf diesen in den automatischen Recycler. »Gemeinsames Dinner, Oper und anschließend romantisches Rendezvous.«
»Mögen Sie das Zeug? Ich meine, die Oper?«, fragte sie, worauf er grinste.
»Ich hasse es. Können Sie sich etwas Nervtötenderes vorstellen als eine dickbusige Frau, die den halben Abend über deutsche Arien kreischt?«
Eve dachte ernsthaft darüber nach. »Nein.«
»Aber da haben wir’s mal wieder. Geschmäcker sind nun mal verschieden.« Sein Lächeln schwand, als er sich zu ihr an den Tisch in der kleinen Nische unter dem Fenster setzte. »Das mit Sharon habe ich heute Morgen in den Nachrichten gehört. Ich habe also schon die ganze Zeit darauf gewartet, dass jemand bei mir erscheint. Es ist schrecklich. Ich kann einfach nicht glauben, dass sie tot ist.«
»Sie kannten sie gut?«
»Wir haben seit über drei Jahren nebeneinander gewohnt – und außerdem haben wir gelegentlich zusammen gearbeitet. Hin und wieder wollte einer unserer Kunden einen Dreier, und dann haben wir uns die Sache geteilt.«
»Haben Sie auch privat das Bett mit ihr geteilt?«
»Sie war eine wunderschöne Frau, und sie fand mich attraktiv.« Er zuckte mit seinen in Seide gehüllten straffen Schultern und blickte durch das getönte Fenster auf eine vorbeifahrende Bahn voller Touristen. »Falls einer von uns beiden in der Stimmung für eine kleine Unterbrechung des grauen Berufsalltages war, hat ihm der andere für gewöhnlich den Gefallen getan.« Sein Lächeln kehrte zurück. »Aber das war selten. Wenn man in einem Süßwarengeschäft
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