Rendezvous mit einem Mörder
Zeit, die Dinge ins Gleichgewicht zu bringen. Allein in ihrem Wohnzimmer, technisch gesehen außerhalb der Dienstzeit, setzte sie sich an ihren Computer.
»Zugang Dallas, Code Five. Passnummer 53478Q. Offnen der Datei DeBlass.«
Stimme und Passnummer erkannt, Dallas. Fahren Sie fort.
»Offnen der Unterdatei Roarke. Verdächtiger Roarke – mit dem Opfer bekannt. Nach Aussage von Quelle C, Sebastian, hat das Opfer den Verdächtigen begehrt. Der Verdächtige erfüllte ihre Anforderungen an einen potenziellen Sexualpartner. Möglichkeit der emotionalen Verwicklung.«
»Gelegenheit zur Ausübung des Verbrechens. Der Verdächtige ist Eigentümer des Apartmentkomplexes, in dem die Wohnung des Opfers liegt, was ihm einen problemlosen Zugang ermöglicht hätte und weshalb er sich wahrscheinlich mit den Sicherheitsvorkehrungen am Tatort auskennt. Der Verdächtige hat kein Alibi für einen Zeitraum von acht Stunden während der Mordnacht, einschließlich der Zeitspanne, die von den Überwachungsdisketten gelöscht wurde. Der Verdächtige besitzt eine große Sammlung antiker Waffen, einschließlich einer Waffe des Typs, der für den Mord benutzt wurde. Der Verdächtige gibt zu, ein erfahrener Schütze zu sein.«
»Entscheidende Persönlichkeitsfaktoren des Verdächtigen. Arrogant, selbstbewusst, zügellos, hoch intelligent. Interessante Mischung aus aggressiv und charmant.«
»Motiv.«
Und hier stieß sie auf Probleme. Nachdenklich erhob sie sich von ihrem Stuhl und durchquerte das Zimmer, während der Computer auf weitere Eingaben wartete. Weshalb würde ein Mann wie Roarke jemanden töten? Aus Gewinnsucht, aus Leidenschaft? Das glaubte sie nicht. Reichtum und Ansehen würde und könnte er auf anderen Wegen problemloser erlangen. Frauen – fürs Bett und andere Vergnügen – könnte er garantiert gewinnen, ohne dabei auch nur ins Schwitzen zu geraten. Sie nahm an, dass er fähig zur Gewaltanwendung war und dass er es mit kalter Berechnung tun würde.
Der Mord an Sharon DeBlass hingegen hatte eindeutig mit Sex zu tun gehabt, die Art der Tötung war roh und primitiv. Irgendwie konnte Eve eine solche Vorgehensweise nicht mit dem eleganten Menschen in Einklang bringen, mit dem sie Kaffee getrunken hatte.
Aber vielleicht war es gerade das.
»Für den Verdächtigen ist Moral etwas Persönliches, nichts, was per Gesetz geregelt werden sollte«, fuhr sie, immer noch durch das Zimmer stapfend, schließlich fort. »Sex, Waffen, Drogen, Tabak und Alkohol betreffen ebenso wie Mord Bereiche der Moral, die per Gesetz verboten und begrenzt wurden. Der Mord an einer lizensierten Gesellschafterin, der einzigen Tochter zweier Freunde, der einzigen Enkelin eines der konservativsten Politiker des Landes mit einer verbotenen Waffe. Sollte er vielleicht die Mängel aufzeigen, die die Gesetzgebung unseres Lande nach Meinung des Verdächtigen aufweist?«
»Motiv«, schloss sie und nahm endlich wieder Platz. »Zügellosigkeit.« Sie atmete zufrieden ein. »Berechnung der Wahrscheinlichkeit.«
Ihr Computer quietschte – was sie daran erinnerte, dass sie ihn ebenso wie ihren Chef durch ein neues Gerät ersetzen sollte –, ehe er sich mit einem leisen Summen ans Werk machte.
Die Wahrscheinlichkeit, dass Roarke der Täter ist, beträgt nach den eingegebenen Daten und Vermutungen zweiundachtzig Komma sechs Prozent.
Oh, es war tatsächlich möglich, dachte Eve und lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. Es hatte eine Zeit gegeben, vor nicht allzu vielen Jahren, da hatte ein Kind einzig wegen der Schuhe, die es getragen hat, von einem anderen niedergeschossen werden können.
Was war das anderes gewesen als obszöne Zügellosigkeit?
Er hatte die Möglichkeit gehabt. Er hatte die Mittel gehabt. Und falls seine eigene Arroganz mitgerechnet werden durfte, vielleicht auch ein Motiv.
Weshalb also, fragte sich Eve, während sie ihre eigenen Worte und die unpersönliche Analyse des Computers auf dem Bildschirm studierte, konnte sie es sich einfach nicht vorstellen?
Sie konnte es ganz einfach nicht. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie Roarke hinter der Kamera gestanden, mit der Waffe auf die wehrlose, nackte, lächelnde Frau gezielt und vielleicht nur wenige Momente nach seinem Samen todbringenden Stahl in sie hineingepumpt haben sollte.
Trotzdem durfte sie die Fakten nicht außer Acht lassen. Wenn sie genug Beweise zusammenbrächte, käme sie vielleicht mit einem Antrag auf ein psychiatrisches Gutachten des Mannes durch.
Wäre das nicht
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