Rendezvous mit Mr Darcy
– und das über alle Maßen. Die gegenseitige Anziehungskraft, schlussfolgerte sie, war wahrscheinlich durch die Einschränkungen aufgrund der Etikette des Regency noch mächtiger. Sie durfte ihn nicht berühren, nicht küssen, noch nicht einmal seine Hand halten, bis er um diese angehalten hatte. Das Bild, wie sie seine Reithose öffnete, schoss ihr durch den Kopf. Sie würde ihn mit ihrer behandschuhten Hand anfassen, und er würde vor Verlangen pochen …
»Ich hoffe, Ihnen wird der Nachmittag, den ich für uns geplant habe, gefallen.«
»Ich bin mir sicher, das wird er.« Er konnte zuweilen so aufmerksam sein, so auf ihre Gefühle und ihr Vergnügen bedacht.
Er drosselte das Tempo der Pferde in ein gemächliches Traben, bis sie vor dem griechischen Tempel anhielten. Chloe spürte, wie ein anderes Verlangen in ihr hochstieg. Es war das schlichte Verlangen, zur Toilette zu gehen. Anscheinend passierte ihr das jedes Mal, wenn sie draußen in der freien Natur war.
Als er ihr seine Hand entgegenstreckte, um ihr aus dem Wagen zu helfen, warf sie einen Blick auf die verwitterte grüne Kuppel des auf dem Hügel liegenden griechischen Tempels. Hinter seinen geriffelten Säulen lag ausgebreitet eine Picknickdecke mit roten Rosenblättern darauf.
Sie genoss die Schönheit des Anblicks und nahm jede Einzelheit in sich auf, wie, um es nie zu vergessen. Doch genau in diesem Moment gab eines der Pferde ein lautes Darmgeräusch von sich, und eine Wolke fürchterlichen Gestanks stieg nach oben und hüllte sie ein. Im denkbar ungünstigsten Augenblick zog Sebastian seine Hand weg, um den Arm vor die Nase zu legen. »Puhh«, murmelte er und zuckte zusammen.
Chloe hatte sich vorgebeugt, um auf seine Hand gestützt auszusteigen, da diese jedoch plötzlich nicht mehr da war, geriet sie ins Stolpern und taumelte aus der Kutsche. Inzwischen hatte das Pferd seinen Schwanz hochgehoben und ließ einen dampfenden, kräftig stinkenden Pferdeapfel fallen, was bei Sebastian und Chloe einen Heiterkeitsausbruch ob der Tücken eines Ausflugs mit Pferden hervorrief.
Sebastian geleitete sie zum Tempel. Dicke Wolken zogen am Himmel auf. Chloe vermeinte, eine Toilette aufsuchen zu müssen, wollte diesem Drang jedoch nicht nachgeben.
Ein Korb voll leckerer Sandwiches, Rosinenbrötchen und Trauben stand in einer Ecke der Picknickdecke. Trauben! Und weit und breit kein Hammelbein, keine Rinderzunge und auch kein Schweinskopf. Ein Stapel nachgedruckter Erstausgaben mit Gedichten von William Cowper und Wordsworth und eine Schachtel mit Kohlestiften und Skizzenbücher dienten als Beschwerung auf einer anderen Ecke der Decke.
»Nun, wie gefällt Ihnen, was Mr Wrightman für Sie vorbereitet hat?«, fragte Mrs Crescent. Sie klatschte, mit dem Anblick offensichtlich zufrieden, in die Hände.
»Es ist perfekt«, erwiderte Chloe und versuchte, nicht an ihre Blase zu denken.
»Limonade?«, fragte Mrs Crescent, während sie eine verkorkte Flasche hochhielt.
Chloe beugte sich zu ihr, um ihr etwas zuzuflüstern. »Ich muss kurz zur Toilette.«
»Wirklich? Welch ungünstiger Moment. Nun, an so etwas denkt man nie, wenn man ein Picknick draußen veranstaltet. Sie müssen eben in den Wald gehen – oder zurück nach Dartworth Hall. Und denken Sie daran, Damen laufen nicht, noch nicht einmal zur Toilette.«
»Wenn Sie mich bitte entschuldigen, Mr Wrightman. Ich muss die – Örtlichkeit aufsuchen.« Flüsternd fügte sie hinzu: »Beziehungsweise die nicht vorhandene.«
Er verbeugte sich. »Gewiss. Ich empfehle Ihnen Henrys Labor.«
Henry besaß ein Labor? Ein wissenschaftliches Labor etwa?
»Sehen Sie es da hinten?« Sebastian zeigte auf einen kleinen Ziegelsteinbau, der unter einer Gruppe von Bäumen stand. »Es liegt viel näher als Dartworth. Außerdem befindet sich darin zufällig eines dieser neumodischen Wasserklosetts. Beeilen Sie sich! Ich warte auf Sie.« Er steckte sich eine Traube in den Mund und ließ sich auf die Picknickdecke fallen. »Ah, mein Zahn.« Wieder rieb er sich den Kiefer.
Chloe klopfte an die Tür des Labors, doch niemand antwortete. Als sie die Tür öffnete, erstrahlte der Raum dahinter in gleißendem Licht, das durch die bodentiefen Fenster fiel und auf eine Wand voll ordentlich aufgereihter Bücher schien. Ein großes Teleskop stand auf einem Stativ an einem Fenster. Chloe erblickte mehrere Holztische mit Tafelaufsätzen, auf denen sich Reagenzgläser in Holzständern, ein einfaches Stethoskop, eine Camera obscura und
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