Rendezvous mit Mr Darcy
erzählen vergessen. Sowohl die kleinen Dinge, wie »ich arbeite heute länger«, als auch die großen, wie »ich habe unseren Urlaub abgesagt, weil auf der Arbeit etwas dazwischengekommen ist«. Nachdem sie sich einmal deshalb heftig gestritten hatten, hatte er ihr vorgeschlagen, sie solle doch einfach mehr als einmal in der Woche nach ihren E-Mails schauen, und er hatte begonnen, ihr E-Mails über die großen, die kleinen und alle Dinge dazwischen zu schicken. Oder sie auf den Verteiler seiner Nachrichten zu setzen. Das wäre im Falle seiner Dienstzeiten auch in Ordnung gewesen, doch da er ein Workaholic war, hatte er ihr auch abends um acht Uhr noch E-Mails geschickt, statt sie anzurufen. Als Abigal schließlich älter war, hatte er ihr ebenfalls E-Mails von unterwegs geschrieben. Als er sich einmal auf einer Dienstreise nach Hongkong befunden hatte, war es dann geschehen. Chloe hatte vergessen. Vergessen, wie sich seine Stimme anhörte.
»Natürlich ist Henry nicht der Mr Wrightman. Sie sind noch nicht so weit, um ihn zu treffen«, erklärte Mrs Cres-cent Chloe.
Wenn sie wüsste.
»Auf einen Mann dieses Kalibers müssen Sie vorbereitet werden.« Sie stand hinter Chloe und betrachtete sie von Kopf bis Fuß. »Die Kanten müssen noch etwas geglättet werden.«
Chloe verschränkte die Arme und grinste. Noch nicht einmal diese Bemerkung konnte sie mehr niederschmettern, so begeistert war sie davon, dass Sebastian der wahre Mr Wrightman war.
»Trotzdem, Fifi und ich freuen uns über den Feuereifer, mit dem Sie dabei sind. Denn das bedeutet, dass Sie gewinnen wollen!«
»Oh ja, das will ich!«
»Wunderbar! Beginnen wir dafür mit dem Spitzen einer Feder, um fünf Vielseitigkeitspunkte zu gewinnen.«
»Aber Mr Darcy spitzt seine Federn lieber selbst.«
»Vielleicht, aber Mr Wrightman nicht. Wir müssen auf alles vorbereitet sein.«
6. K apitel
Nach der Lehrstunde über das Spitzen einer Feder, für die es einer Gänsefeder, eines Federmessers und einer gehörigen Portion Geduld bedurft hatte, war Chloe vollkommen erschöpft gewesen, hatte das Abendessen verpasst und bis zum nächsten Morgen durchgeschlafen. Trotzdem hatte sie fünf Vielseitigkeitspunkte für das Bewältigen der Aufgabe gewonnen. Als sie aufwachte, fiel ihr Henrys zerknittertes Taschentuch unter der Decke in die Hände, das sie in die Schublade ihres Waschtischs steckte.
Vielleicht würde ja heute, eigens für sie, das Programm mit Sebastian als Stargast gespielt werden. Die anderen Frauen und sie saßen in ihren Tageskleidern in dem türkisblauen Frühstückszimmer. Chloe blickte sich um und stellte fest, dass sie die Älteste von allen war, die Anne Elliot der Gruppe.
»Meine Damen …« Der Butler räusperte sich diskret und unterbrach so dezent ihre Unterhaltung.
Die Frauen hatten über »Mr Wrightman« gespro-chen, Sebastian Wrightman natürlich. Niemand sprach über Henry. Alle hatten sie etwas Faszinierendes über ihn zu erzählen und versuchten zwischen den Zeilen zu lesen, um seine Gefühle für sie zu entschlüsseln. In Chloes Kopf formte sich aufgrund der Informationen, die sie seit ihrer Ankunft gesammelt, und der Biografie, die sie zu Hause in Chicago gelesen hatte, ein Bild von seinem Charakter.
Diese Sorte Mann war ihr nicht unbekannt. Er war einer der oberen Zehntausend, intelligent und zurückhaltend. Ein anständiger Charakter, der aber wahrscheinlich, und allem äußeren Anschein zum Trotz, einen eher weichen Kern besaß. Er vertrat eher altmodische Ansichten, die hier und da vielleicht nach etwas frischem Wind verlangten, so wie Mr Darcy selbst auch. Die richtige Frau war ihm offensichtlich noch nicht begegnet, und vielleicht war er schwer zu knacken, doch eine amüsante, gescheite Frau wie sie sollte einer Aufgabe wie dieser gewachsen sein. Sie konnte es nicht erwarten, ihn offiziell kennenzulernen, um herauszufinden, wie er wirklich war.
»Vor Ihnen liegt ein aufregender Tag auf Bridesbridge Place«, fuhr der Butler fort. Eine Kamera war auf ihn gerichtet, während eine andere die Frauen filmte.
Chloe musste bei diesem Butler-Gastgeber-Schauspiel grinsen. Sie schob das kalte Rindfleisch und das trockene Toastbrot auf ihrem Teller hin und her. Die Frauen hatten sich mit dem Frühstück beeilt und die wenige Butter bereits verbraucht, während sie noch dabei gewesen war, sich ihr Essen von der Anrichte zu holen. Butter erwies sich als knappe Ware, da die Küchenmädchen die Kühe melken und die Butter selbst mit der
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