Rendezvous mit Mr Darcy
Boden löste. Die Fackel war größer als sie und schwerer, als sie gedacht hatte, weshalb sie fast hinfiel.
»Ach so!«, rief der Nachtwächter und kniff die Augen zusammen, um sie besser zu sehen. »Wenn du schon draußen bist, kannst du genauso gut diese Nachricht Mr Sebastian Wrightman überbringen.« Er gab ihr einen Brief und eine Laterne und nahm ihr die Fackel ab. Jetzt hatte sie eine Aufgabe, und sie betrachtete es als ein Zeichen.
Als der Nachtwächter näher kam, verzog er den Mund und blinzelte. »Versprichst du mir, den Brief umgehend nach Dartworth Hall zu bringen und nicht auf dem Weg für einen Fingerhut voll Schnaps anzuhalten?«
»Versprochen.« Chloe drehte sich auf dem Absatz um, da sie so wenig wie möglich sagen wollte, und machte sich auf den Weg, noch bevor der Nachtwächter auf den Gedanken kam, weitere Fragen zu stellen.
Ihre Schuhe versanken zeitweilig im Schlamm und verursachten ein schmatzendes Geräusch, als sie in Richtung der in der Ferne vor Dartworth Hall flackernden Fackeln ging. Trotz ihrer Nervosität und den zitternden Händen versuchte sie, ihre neu gewonnene Freiheit und die Zeit ohne eine Anstandsdame zu genießen. Und sie war außerdem nach Einbruch der Dunkelheit draußen. Sie hob die Laterne hoch, doch ihr Abenteuer fühlte sich nicht richtig an. Sie war nicht wie Grace. Sie konnte Regeln genauso schlecht brechen, wie sie Herzen brechen konnte.
Die Laterne half ihr zu sehen, doch warf sie nur begrenzt Licht. Sie würde nie wieder Straßenlaternen als selbstverständlich erachten. Beinahe wäre sie umgekehrt, doch wusste sie, dass der Nachtwächter sie immer noch mit einem Auge im Blick hatte, weshalb es kein Zurück gab. Bäume knacksten, Eulen schrien, und etwas raschelte im Holz seitlich vom Weg. Die Strecke nach Dartworth Hall schien auf jeden Fall sehr viel länger zu sein, als sie es von ihrem Schlafzimmerfenster aus vermutet hatte. Genau in diesem Moment drang ein fast voller Mond hinter einer Wolke hervor und warf ein blaues Licht auf alles um sie herum.
Als sie nach hinten über ihre Schulter schaute, um zu sehen, wie weit sie gekommen war, tat es einen Schlag – rums! Sie war geradewegs in eine Glasscheibe gelaufen, und ihr Dreispitz fiel ihr fast vom Kopf. Ihr tat die Schulter weh, doch das Glas war wenigstens nicht zerbrochen. Sie hob die Laterne hoch und stellte fest, dass sie gegen ein Gewächshaus gelaufen war, gegen ein großes Gewächshaus, wie es schien. Das Glas fühlte sich warm und feucht an ihrer Hand an. Sie wischte das Kondenswasser ab und leuchtete mit ihrer Fackel in das Innere hinein, wo Erdbeeren an einer Ranke wuchsen. Sie ging einen Schritt zurück, schaute nach oben, hob die Laterne an und erkannte, dass es bleiverglaste Fenster waren.
Nachdem sie schon seit Tagen Hammelfleisch, gummiartige kleine Kartoffeln und Pfau, der mitsamt Kopf serviert wurde, in sich hineinzwingen musste, sehnte sie sich nach Obst. Verbotenes Obst!
Sie hörte eilige Schritte, und ein Nachtwächter von Dartworth Hall kam mit seiner Laterne auf sie zugelaufen. »Hallo«, begrüßte er sie. »Was gibt’s, mein Junge? Kommst du zu dieser Stunde etwa noch von Bridesbridge? Zu Fuß?«
Chloe verbeugte sich, senkte ihre Stimme und zeigte den Brief. »Ich – ich habe einen Brief für Mr Wright-man, Sir.«
»Um diese Uhrzeit?« Der Nachtwächter schaute sie misstrauisch an. »Du kommst mir nicht bekannt vor, mein Junge.«
»Ich bin neu auf Bridesbridge.«
»Du musst den Brief persönlich abgeben. Die Diener am Hauseingang sind schon zu Bett gegangen. Mr Wrightman ist im Billardzimmer. Schräg gegenüber vom großen Speisezimmer. Du musst durch die große Halle und dich rechts halten!«
Chloes Schatten, mit ihren schlanken Beinen und Fesseln, sah in der Tat eher jungenhaft aus, und die Jacke verbarg ihre Hüften besser als jede Formunterwäsche, wenngleich sie aufgrund des eingeschränkten Speiseplans des Regency bereits jene sieben Pfund verloren hatte, die sie schon seit einiger Zeit hatte abnehmen wollen.
Sie setzte ihre Laterne ab und sprang die Marmortreppe hinauf – die unzähligen Stufen glänzten in dem blauen Mondlicht. Es war zu schön, um wahr zu sein. Sie hätte Sebastian ganz für sich allein – in ihrer süßen kleinen Dienertracht! Und zusätzlich könnte sie auch noch Henry finden und sich bei ihm entschuldigen. Sie schlüpfte durch die nicht verschlossene Tür in die von Wandleuchtern schwach beleuchtete Eingangshalle. Die Kronleuchter waren
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