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Rendezvous mit Rama

Rendezvous mit Rama

Titel: Rendezvous mit Rama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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den steilen Hang hinab. Als er den Grund erreichte, rechnete er fest damit, das vertraute Gefühl von glattem Eis unter den Füßen zu verspüren, aber er hatte sich getäuscht. Die Reibung war groß, seine Füße fanden sicheren Halt. Dieses Material hier war eine Art Glas oder durchsichtiger Kristall. Wenn er es mit den Fingerspitzen berührte, wirkte es kalt und hart.
    Norton wendete dem Suchscheinwerfer den Rücken zu, schirmte seine Augen ab gegen die Reflexion und versuchte in die kristallischen Tiefen wie in die Eisschicht eines gefrorenen Sees zu schauen. Doch er konnte nichts erkennen: Auch der gebündelte Strahl seiner Helmlampe brachte nicht mehr. Das Material war zwar lichtdurchlässig, aber nicht transparent. Wenn es sich um eine gefrorene Flüssigkeit handelte, dann musste ihr Schmelzpunkt höher als der von Wasser sein.
    Er klopfte mit dem Hammer aus seinem Geologiepack sacht auf den Stoff: Das Werkzeug prallte mit einem dumpfen klanglosen >Klonk< zurück. Er klopfte stärker; ohne Ergebnis. Gerade wollte er mit aller Kraft zuschlagen, als ein undeutliches Gefühl ihn zurückhielt.
    Es schien äußerst unwahrscheinlich, dass er diesen Stoff zerbrechen konnte. Was aber, wenn es ihm gelang? Er würde ein Vandale sein, der ein riesiges Glasfenster zertrümmerte. Später würden sich bessere Gelegenheiten bieten, und immerhin hatte er ja schon einige wertvolle Informationen gesammelt. Es war nach seinen Erfahrungen jetzt noch unwahrscheinlicher als zuvor, dass es sich bei diesem Gebilde um einen Kanal handelte; es war einfach ein merkwürdiger Graben, der irgendwo abrupt anfing und aufhörte, der jedoch nirgendwohin führte. Und wenn er zu irgendeiner Zeit Flüssigkeit geführt hatte, wo waren dann die Spuren, die Verkrustungen der Austrocknungssedimente? Alles war hell und sauber, als hätten es die Konstrukteure gestern zurückgelassen ...
    Wieder einmal sah er sich direkt dem entscheidenden Geheimnis Ramas gegenüber, und diesmal gelang es ihm nicht, dem auszuweichen. Commander Norton war ein verhältnismäßig fantasievoller Mensch, aber er wäre niemals auf seinem derzeitigen Posten gelandet, wenn er eine Neigung zu verrückten Einbildungen gehabt hätte. Doch jetzt machte er zum ersten Mal in seinem Leben die Erfahrung - nicht eigentlich eines bedrohlichen Vorgefühls, sondern der Vorwegnahme. Die Dinge waren nicht wirklich, was sie zu sein schienen; an diesem Ort, der gleichzeitig völlig neu und Millionen Jahre alt wirkte, war irgendetwas sehr, sehr merkwürdig.
    Tief in Gedanken begann er das kleine Tal hinabzugehen, während seine Gefährten ihm oben auf der Böschung mit dem Seil, das um seinen Leib gelegt war, folgten. Er rechnete nicht mit weiteren Entdeckungen, doch er wollte seiner seltsamen Gefühlsaufwallung Zeit geben, sich von selbst zu legen. Denn da war noch etwas, das ihn beunruhigte, und das hatte nichts mit der unerklärlichen Neuheit Ramas zu tun.
    Er war kaum ein Dutzend Schritte gegangen, als es ihm blitzartig klar wurde.
    Er kannte diesen Ort. Er war früher schon einmal hier gewesen. Selbst auf der Erde oder auf einem vertrauten Planeten ist ein Dejä-vu -Erlebnis beunruhigend, wenn es auch nicht gerade selten auftritt. Die meisten Menschen sind ihm irgendwann einmal begegnet, und gewöhnlich tun sie es als die Erinnerung an ein vergessenes Foto ab, als einen reinen Zufall oder - wenn sie zur Mystik neigen - als eine Art telepathischer Botschaft von einem anderen Gehirn oder sogar als eine Rückblende aus der eigenen Zukunft.
    Aber einen Fleck wieder zu erkennen, den zweifellos kein anderes menschliches Wesen je zuvor gesehen haben konnte- das war schon ziemlich beunruhigend. Mehrere Sekunden lang stand Commander Norton unbeweglich auf der Kristallfläche und versuchte, den Wust seiner Gefühle zu ordnen. Sein wohlgefügtes Weltbild hatte sich verkehrt, und er erhaschte einen Schwindel erregenden Blick auf jene Geheimnisse am Rande der Existenz, die er während eines Großteils seines Lebens so erfolgreich ignoriert hatte.
    Dann kam ihm zu seiner enormen Erleichterung der gesunde Menschenverstand zu Hilfe ... Das beunruhigende Dejä-vu-Gefühl wurde schwächer und machte einer tatsächlichen und genau identifizierbaren Erinnerung aus seiner Jugend Platz.
    Ja, es stimmte: Er hatte einstmals zwischen derartig steil herabfallenden Wänden gestanden und war ihnen mit den Blicken gefolgt, wie sie in einer fast unendlich weiten Ferne in einem Punkt verschmolzen. Aber damals waren sie

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