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Rendezvous mit Rama

Rendezvous mit Rama

Titel: Rendezvous mit Rama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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Wind in der Ferne hätte halten können. Auch die zwei Explorationstrupps hatten nichts Außergewöhnliches zu berichten.
    Schließlich schlief Commander Norton gegen Mitternacht nach Schiffszeit endlich ein. Am Kommunikationsschaltpult hatte beständig ein Mann Wache und Bereitschaftsdienst für dringliche Nachrichten. Weitere Vorsichtsmaßnahmen schienen nicht nötig zu sein.
    Kein Orkan hätte das Geräusch hervorbringen können, das ihn und das gesamte Lager plötzlich aufweckte. Es war, als stürzte der Himmel ein oder als berste Rama auseinander und zerbräche in Trümmer. Zuerst erfolgte ein ungeheures Krachen, dann ein lang anhaltendes kristallisches Klirren, wie wenn Millionen Glashäuser zertrümmert würden - es dauerte nur minutenlang, obwohl es ihnen wie Stunden erschien; und es hielt weiter an, schien sich zu entfernen, als Norton die Nachrichtenzentrale erreichte.
    »Kontrolle Nabe! Was ist passiert?«
    »Eine Sekunde, Skipper. Es ist drüben bei der See. Wir setzen das Licht drauf.«
    Acht Kilometer über ihnen auf der Rama-Achse begann der Strahl des Suchscheinwerfers über die Ebene zu gleiten. Er erreichte das Ufer der See, wanderte dann dort entlang und bestrich den Äquator dieser Welt im Kreis. Bei etwa der Viertelmarke hielt der Strahl auf der zylindrischen Innenfläche plötzlich an.
    Dort oben im Himmel - beziehungsweise dessen, was das Gehirn noch immer hartnäckig als Himmel betrachtete - geschah etwas ganz Außerordentliches. Nortons erster Eindruck war, dass die See zu kochen begonnen hatte. Sie wirkte nicht mehr statisch und gefroren, als halte ein ewiger Winter sie gefangen; ein riesiges Gebiet vom mehreren Kilometern Erstreckung war in wildem Aufruhr. Und die See veränderte ihre Färbung: Ein breites weißes Band zog sich über das Eis.
    Plötzlich begann eine Scholle von etwa einem Kilometer Länge sich nach oben zu schieben wie eine sich öffnende Falltür. Langsam und majestätisch stieg sie schimmernd und blitzend im Strahl des Scheinwerfers dem Himmel entgegen. Dann sackte sie zurück und verschwand unter der Oberfläche, und eine Flutwelle schäumenden Wassers schoss von der Stelle, an der sie versunken war, in alle Richtungen auseinander.
    Erst jetzt wurde es Commander Norton ganz bewusst, was da geschah. Das Eis brach auf. Während all dieser Tage und Wochen war das Eis unten in der Tiefe geschmolzen. - Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren, denn das donnernde Getöse erfüllte noch immer den Raum und hallte vom Himmel in Kreisechos wider, doch er versuchte sich vorzustellen, was eine derartig dramatische Erschütterung hervorgerufen haben könnte. Wenn auf der Erde ein zugefrorener See oder Fluss auftaute, dann keineswegs so wie hier ...
    Aber, natürlich! Jetzt, da es geschehen war, war es ganz einleuchtend. Die See taute von unten her auf, weil die Sonnenhitze durch die Hülle Ramas vordrang. Und wenn Eis zu Wasser schmilzt, verringert sich das Volumen ...
    Also war die See unter die oberste Eisschicht abgesackt und hatte sie ohne Halt gelassen. Jeden Tag war die Spannung gewachsen, und jetzt brach das Eisband um den Äquator Ramas in sich zusammen wie eine Brücke, die ihren Mittelpfeiler verloren hatte. Das Eis zersplitterte zu Hunderten treibender Schollen, die zusammenprallten und sich ineinander schoben, bis auch sie geschmolzen sein würden. Nortons Blut erstarrte plötzlich, als er sich an den Plan erinnerte, New York per Schlitten zu erreichen ...
    Der Tumult legte sich rasch wieder; im Ringen zwischen Eis und Wasser war ein Stillstand eingetreten. Ein paar Stunden später würde bei stetig ansteigender Temperatur das Wasser den Sieg davontragen, und die letzten Eisspuren würden verschwinden. Doch auf lange Sicht würde sich doch wieder das Eis durchsetzen, wenn Rama die Sonne umrundete und sich erneut auf eine Bahn in die interstellare Nacht begab.
    Norton atmete plötzlich wieder bewusst; er rief per Funk den Trupp, der der See am nächsten war. Zu seiner Erleichterung antwortete Leutnant Rodrigo sofort. Nein, das Wasser habe sie nicht erreicht. Keine Flutwelle sei über den Klippenkamm herüber gedrungen. »Jetzt wissen wir also«, fügte er ganz ruhig hinzu, »warum da ein Steilufer ist.« Norton stimmte ihm wortlos zu; insgeheim aber sagte er sich: Das erklärt aber wohl kaum, warum das Steilufer an der Südküste zehnmal so hoch ist...
    Der Suchscheinwerfer von der Nabe strich weiter im Kreis um diese Innenwelt. Das erwachende Meer wurde zunehmend

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