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Rendezvous mit Rama

Rendezvous mit Rama

Titel: Rendezvous mit Rama Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
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hinunterziehen und auf der acht Kilometerweiter unten liegenden Fläche zerschmettern können.
    Plötzlich fühlte er sich von seinem Stolz und seiner Selbstachtung dazu gedrängt, die Augen zu öffnen und diese Welt hier neu zu sehen. Aber vorher musste er unbedingt erst wieder die Kontrolle über seinen Körper zurückgewinnen.
    Er nahm beide Hände von den Leitersprossen und hakte den linken Arm über eine der Sprossen. Abwechselnd ballte er die Fäuste und streckte die Hände wieder, bis der Muskelkrampf abflaute. Dann - als er sich ganz okay fühlte - öffnete er die Augen, wandte den Kopf und sah: Rama.
    Der erste Eindruck war der von einem ungeheuren Blau. Der Glanz, der den Himmel erfüllte, hätte niemals mit dem Licht der Sonne verwechselt werden können; er wirkte eher wie das Licht einer elektrischen Bogenlampe. Also muss die Sonne Ramas heißer sein als unsere, sagte sich Norton. Das dürfte die Astronomen interessieren ...
    Und jetzt begriff er auch, was der Zweck dieser geheimnisvollen Gräben war, wozu das Gerade Tal und seine fünf Gegenstücke dienten: Sie waren nichts anderes als gigantische Lichtstreifen. Rama besaß sechs lineare Sonnen, die symmetrisch in seinem Inneren angeordnet waren. Von jeder dieser Linearsonnen strömte ein breiter Lichtfächer über die Mittelachse und erleuchtete die andere Seite der Innenwelt. Norton fragte sich, ob diese Lichtbögen in bestimmtem Rhythmus ein- und ausgeschaltet werden konnten, um einen Tag-Nacht-Zyklus hervorzurufen, oder ob auf diesem Planeten beständig Tag herrschte.
    Er hatte diese blendenden Lichtstränge schon zu lange angestarrt, seine Augen schmerzten wieder; und er war froh darüber, sie für eine Weile schließen zu dürfen. Jetzt erst, als er den ersten optischen Schock nahezu überwunden hatte, konnte er sich dem sehr viel ernsteren Problem zuwenden.
    Wer- oder was - hatte in Rama das Licht ausgelöst ?
    Den empfindlichsten Tests, die die Menschen durchführen konnten, nach zu urteilen, war dies eine absolut sterile Welt. Doch jetzt war etwas geschehen und geschah, das sich durch das Wirken von Naturkräften nicht erklären ließ. Hier in Rama gab es vielleicht kein Leben, aber es gab möglicherweise ein Bewusstsein, eine Wachsamkeit: Vielleicht wachten Roboter nach einem äonenlangen Schlaf auf. Oder vielleicht war diese Lichtexplosion eine nicht programmierte zufällige Zuckungen letztes Todesröcheln von Maschinen, die hektisch auf die Wärme einer neuen Sonne reagierten und bald wieder in den Ruhestand zurückfallen würden. Diesmal vielleicht für immer.
    Und doch, dachte sich Norton, scheint mir das eine zu einfache Erklärung zu sein. Wie bei einem Puzzle begannen die Einzelstücke sich zu einem Muster zusammenzufügen. Allerdings fehlten ihm noch zu viele Elemente. Dass zum Beispiel keinerlei Spuren von Abnutzung festzustellen waren - dieser Eindruck von Neuigkeit und Frische, als wäre Rama soeben erst geschaffen worden ...
    Solche Gedanken hätten Furcht, hätten Entsetzen hervorrufen können. Aber merkwürdigerweise empfand Norton nichts dergleichen. Er fühlte sich im Gegenteil heiter, ja beinahe vergnügt. Denn hier gab es ja sehr viel mehr zu entdecken, als sie je zu hoffen gewagt hätten. Na, ich bin neugierig, was das Rama-Komitee sagt, wenn sie das hören!, dachte Norton.
    Dann öffnete er ruhig und entschlossen die Augen und fing an, sorgfältig alles zu registrieren, was er sah.
    Zunächst musste er eine Art Bezugssystem aufbauen. Er sah vor sich den größten umschlossenen Raum, den jemals ein Mensch erblickt hatte, und brauchte so etwas wie eine geistige Landkarte, um sich zurechtzufinden.
    Die geringe Schwerkraft half ihm dabei nicht, denn sein Bewusstsein konnte die Richtungen von Oben und Unten beliebig orientieren. Manche Richtungen allerdings waren psychologisch gefährlich, und wann immer sein Gehirn daran rührte, musste er rasch sein Denken auf einem anderen Vektor davon fort lenken.
    Am sichersten war es, sich vorzustellen, dass er auf dem schüsselförmigen Grund eines riesigen Brunnens stehe, der sechzehn Kilometer weit und fünfzig Kilometer tief war. Diese Vorstellung hatte zumindest den Vorteil, dass die Gefahr, tiefer zu stürzen, ausschied; trotzdem war sie keineswegs ideal.
    Er konnte sich einreden, dass die verstreuten Siedlungen und Städte und die unterschiedlich gefärbten und strukturierten Bezirke alle sicher mit den aufragenden Wandungen verbunden waren. Die verschiedenen komplexen Gebilde, die

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