Rendezvous mit Rama
ruhiger, und die kochende weiße Gischt raste nicht mehr von kenternden Eisschollen fort. Nach fünfzehn Minuten war das Schlimmste vorbei.
Und Rama war nicht mehr stumm: Er war aus dem Schlaf erwacht, immer wieder das Knirschen zu hören, wenn ein Eisberg mit einem anderen zusammenprallte.
Der Frühling war ein bisschen spät gekommen, sagte Norton bei sich selbst, doch der Winter war zu Ende.
Wieder strich diese Brise vorbei, doch stärker diesmal als je zuvor. Rama hatte ihn genügend gewarnt: Es war Zeit, sich zu verabschieden.
Als er in der Mitte der Treppe angelangt war, empfand Commander Norton wieder einmal tiefe Dankbarkeit, dass die Finsternis gnädig verbarg, was vor ihm lag - und unter ihm. Obwohl er wusste, dass noch über zehntausend Stufen vor ihm waren, und er sich im Geiste die steil ansteigende Kurve durchaus vorstellen konnte, wurde ihm diese Aussicht erträglicher, weil er nur einen beschränkten Bereich dieser Treppe überblicken konnte.
Es war dies sein zweiter Aufstieg, und er hatte aus den Fehlern des ersten gelernt. Die Versuchung war groß, bei dieser geringen Schwerkraft zu rasch hinaufzuklettern: Jeder Schritt fiel so leicht, dass man sich bewusst zu einem langsamen gleichmäßigen Rhythmus zwingen musste. Doch wenn man dies nicht tat, traten nach den ersten paar tausend Stufen ungewohnte Muskelschmerzen in Schenkeln und Waden auf. Muskelstränge, von deren Existenz man niemals etwas geahnt hatte, legten Protest ein, und man musste immer längere Ruhepausen einschieben. Gegen Ende seines ersten Aufstiegs hatte er mehr Zeit mit Pausieren als mit dem Steigen verbracht, und selbst das war nicht ausreichend gewesen. Während der folgenden zwei Tage hatte er unter schmerzhaften Muskelkrämpfen gelitten und wäre wohl fast gelähmt gewesen, hätte er sich nicht in der Schwerelosigkeit des Raumes befunden.
Darum hatte er diesmal den Anstieg mit geradezu übertriebener Langsamkeit begonnen und sich, wie ein alter Mann fortbewegt. Er hatte die Ebene als Letzter verlassen, die anderen bildeten eine Kette von einem halben Kilometer vor ihm auf der Treppe; er konnte sehen, wie sich ihre Helmlampen den unsichtbaren Hang vor ihm hinaufbewegten.
Norton war zutiefst enttäuscht, dass seine Mission fehlgeschlagen war, aber selbst jetzt hoffte er noch, dass es sich nur um einen vorläufigen Rückzug handeln werde. Wenn sie die Nabe erreicht hatten, dann konnten sie ja warten, bis die möglicherweise auftretenden atmosphärischen Störungen sich gelegt hätten. Aller Wahrscheinlichkeit nach würde dort an der Nabe Totenstille herrschen wie im Zentrum eines Wirbelsturms, und sie würden den bevorstehenden Orkan in Ruhe und Sicherheit abwarten können.
Einmal mehr zog er voreilig Schlussfolgerungen und gefährliche Vergleiche zu der Situation auf der Erde. Die meteorologischen Zusammenhänge einer ganzen Welt waren - selbst unter der Voraussetzung eines stabilen Gleichgewichts - eine unerhört komplizierte Sache. Selbst nach jahrhundertelanger Forschung war die Wetterprognose auf der Erde noch immer nicht absolut zuverlässig. Und bei Rama handelte es sich nicht nur um ein völlig neuartiges Ökosystem; Rama machte auch irrsinnig rasche Veränderungen durch, denn die Temperatur war innerhalb der letzten paar Stunden um mehrere Grade angestiegen. Doch noch immer deutete nichts auf den angekündigten Orkan hin. Allerdings waren ein paar schwache Windstöße aus anscheinend wechselnden Richtungen aufgetreten.
Bisher waren sie fünf Kilometer hoch gestiegen, und das bedeutete bei dieser niedrigen und kontinuierlich abnehmenden Schwerkraft weniger als zwei Kilometer auf der Erde. Auf Plattform Drei, nur drei Kilometer von der Achse entfernt, machten sie eine Stunde lang Rast, nahmen leichte Erfrischungen zu sich und massierten ihre Beinmuskeln. Hier war der letzte Punkt ihres Aufstieges, an dem sie frei und bequem atmen konnten. Wie die Bergsteiger im Himalaja in der Vergangenheit hatten sie hier ihre Sauerstoffgeräte deponiert. Jetzt nahmen sie sie auf und rüsteten sich zum Endspurt.
Eine Stunde später hatten sie das Ende der Treppe erreicht. -Jetzt kam die Leiter. Vor ihnen lag dieser letzte senkrechte Kilometer. Glücklicherweise konnten sie ihn in einem Schwerkraftfeld überwinden, das nur ein paar Prozent der Erdschwerkraft ausmachte. Wieder eine halbstündige Rastpause, sorgfältige Überprüfung der Sauerstoffgeräte, und sie waren bereit für die letzte Etappe.
Wieder arrangierte Norton es so,
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