Rendezvous mit Rama
Schiffsprioritätsverbindung für eine Direktnachricht zur Erde benutzen zu dürfen.«
Das war wirklich außergewöhnlich, wenn auch kein Präzedenzfall. Routinesignale gingen zu der nächsten Planetenrelaisstation - zum gegenwärtigen Zeitpunkt war dies für sie Merkur und trotz der nur Minuten dauernden Übertragungszeit vergingen oft fünf bis sechs Stunden, ehe eine Nachricht auf dem Schreibtisch des Adressaten landete. In neunundneunzig Prozent der Fälle reichte dies auch vollkommen aus; doch im Notfall konnte der Kapitän entscheiden, dass direktere und sehr viel kostspieligere Verbindungswege benutzt würden.
»Sie sind sich doch darüber im Klaren, dass Sie mir triftige Gründe dafür angeben müssen. Die ganze Bandbreite, die wir zur Verfügung haben, wird für Datenübertragung benutzt und ist bereits überlastet. Handelt es sich um einen persönlichen Notfall?«
»Nein, Commander. Es ist etwas wW Wichtigeres. Ich möchte der Mutterkirche eine Botschaft senden.«
Aha, dachte Norton bei sich. Was fange ich jetzt damit an?
»Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Sache ein wenig erläutern würden.«
Hinter Nortons Forderung steckte nicht nur Neugierde, wenn sie zweifellos auch eine Rolle spielte. Wenn er nämlich Boris die erbetene Priorität einräumte, würde er seine Entscheidung später rechtfertigen müssen.
Die sonst so ruhigen blauen Augen starrten ihn an. Norton hatte noch nie erlebt, dass Boris die Kontrolle über sich verloren hätte oder anders als völlig selbstbeherrscht gewesen wäre. Alle Kosmo-Christen waren so; dies gehörte unbedingt zu den Vorzügen, die ihr Glaube mit sich brachte, und es machte sie zu so guten Astronauten. Manchmal allerdings war ihre blinde Überzeugtheit doch ein wenig ärgerlich für jene Unglückseligen, denen die >Offenbarung< nicht zuteil geworden war.
»Es handelt sich um den Zweck von Rama, Commander. Ich glaube nämlich, ich habe ihn herausgefunden.«
»Fahren Sie fort.«
»Betrachten Sie die Situation. Hier haben wir eine vollkommen leere Welt ohne Leben - und doch ist sie für menschliche Wesen bewohnbar. Sie hat Wasser und eine Atmosphäre, in der wir atmen können. Sie kommt aus den fernsten Weiten des Weltalls und zielt direkt auf das Sonnensystem - und es scheint völlig unglaublich, dass es sich dabei um puren Zufall handeln soll. Außerdem scheint diese Welt nicht nur neu zu sein: Sie sieht so aus, als wenn sie nie benutzt worden wäre.«
Das haben wir doch alles schon ein gutes Dutzend Mal durchgekaut, sagte Norton bei sich. Was könnte Boris da Neues beibringen ?
»Unser Glaube sagt uns, dass wir mit einem derartigen Besuch rechnen sollen, auch wenn wir nicht genau wissen, in welcher Form dies vor sich gehen wird. Die Bibel gibt uns da nur Andeutungen. Wenn dies nicht das Zweite Erscheinen ist, dann vielleicht das Zweite Gericht; die Geschichte Noahs beschreibt das Erste. Ich glaube, dass Rama eine kosmische Arche ist, die zu uns hergeschickt wurde, um die zu retten - die der Rettung und des Heils würdig sind.«
Eine ganze Weile lang herrschte in der Kapitänskajüte völlige Stille. Nicht dass Norton etwa die Worte gefehlt hätten; im Gegenteil, es drängten sich ihm zu viele Fragen auf, und er war sich nicht sicher, welche er taktvollerweise stellen könnte.
Schließlich sagte er so sanft und unverbindlich, wie er nur konnte: »Das ist ein sehr interessantes Konzept, und obwohl ich nicht Ihrem Glauben angehöre, scheint mir persönlich doch diese Vorstellung verführerisch und logisch.« Er war keineswegs ein Heuchler oder ein Schmeichler, wenn er das sagte; denn wenn man die religiöse Einkleidung fallen ließ, dann war Rodrigos Theorie zumindest ebenso überzeugend wie ein halbes Dutzend anderer, die er sich schon hatte anhören müssen. Angenommen, der menschlichen Rasse drohte irgendeine Katastrophe, und eine freundliche und wohlwollende höhere Intelligenz wusste dies? Das würde doch alles recht säuberlich erklären. Dennoch, es gab da noch einige Probleme zu lösen ...
»Ein paar Fragen, Boris. Rama wird in drei Wochen das Perihelium erreichen; dann wird er die Sonne umkreisen und das Sonnensystem ebenso rasch wieder verlassen, wie er in es eingetreten ist. Es bleibt also nicht viel Zeit für einen Tag des Gerichts oder dafür, die Leute, die - hm - erwählt sind, zu Rama rüber zu fliegen, wie immer man das anstellen würde.«
»Sehr richtig. Rama wird also beim Erreichen des Periheliums abbremsen und eine Parkumlaufbahn
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