Rendezvous mit Rama
ununterbrochenen schimmernden Band. Was tut sich dort unter diesen Wolken?, fragte sich Norton. Nun, wenigstens hatte sich der Sturm gelegt, der sie zentripetal zu einer derartig perfekten Symmetrie um die Achse von Rama getrieben hatte. Und wenn es nicht weitere Überraschungen gab, würden sie gefahrlos absteigen können.
Er hielt es für sinnvoll, bei diesem Wiederholungsbesuch das gleiche Team einzusetzen, das als Erstes am weitesten nach Rama vorgedrungen war. Sergeant Myron erfüllte inzwischen - wie übrigens alle anderen Besatzungsmitglieder der Endeavour auch - vollkommen die von Stabsärztin Ernst geforderten körperlichen Ansprüche, ja er behauptete sogar mit großer Überzeugung, dass er seine alten Uniformen nie wieder tragen werde.
Als Norton zusah, wie Mercer, Calvert und Myron rasch und voller Selbstsicherheit die Leiter >hinunter schwammen<, erinnerte er sich daran, was alles sich unterdessen geändert hatte. Beim ersten Mal waren sie in Kälte und Finsternis abgestiegen; jetzt bewegten sie sich auf Licht und Wärme zu. Bei sämtlichen früheren Besuchen waren sie überzeugt gewesen, dass Rama tot sei. Das mochte ja auch jetzt noch im biologischen Sinn der Fall sein. Aber etwas war in Bewegung geraten, und so war die Bezeichnung, die Boris Rodrigo gefunden hatte, ebenso gut wie eine andere. Der >Geist< Ramas war erwacht.
Als sie die Plattform am Fuß der Leiter erreicht hatten und sich an den Abstieg über die Treppen machen wollten, führte Mercer die üblichen Routinetests der Atmosphäre durch. Es gab ein paar Sachen, die er niemals für selbstverständlich hielt;
selbst bei Gelegenheiten, wenn Leute um ihn herum vollkommen ohne Schwierigkeiten atmeten, hatte Mercer, der Legende zufolge, Halt gemacht und den Sauerstoffgehalt überprüft, ehe er seinen Helm öffnete. Als man ihn fragte, womit er seine übertriebene Vorsicht rechtfertige, antwortete er: »Weil die menschlichen Sinne nicht zuverlässig genug sind. Darum. Ihr denkt vielleicht, alles ist in Butter, dabei könnte es passieren, dass ihr beim nächsten tiefen Atemzug flach auf den Bauch fallt.«
Er blickte auf sein Messgerät und sagte: »Verdammt!«
»Was ist los?«, fragte Calvert.
»Das Ding ist kaputt - es schlägt zu hoch an. Komisch. Das ist mir bisher noch nie passiert. Ich werde es mit meinem Sauerstoffkreislauf testen.«
Er verband den kleinen kompakten Analysator mit dem Kontrollpunkt seines Sauerstoffgeräts und stand dann eine ganze Weile gedankenvoll schweigend da. Seine Gefährten beobachteten ihn mit ängstlicher Besorgnis: Alles, was Karl beunruhigte, war äußerst ernst zu nehmen.
Er löste das Messgerät, nahm erneut eine Messung der Rama- Atmosphäre vor und rief dann die Kontrollstation an der Nabe an. »Skipper! Wollen Sie bitte einen O 2 -Test machen lassen?« Die Pause dauerte sehr viel länger, als diese schlichte Bitte rechtfertigen konnte. Dann gab Norton Antwort: »Ich glaube, mit meinem Messgerät ist etwas nicht in Ordnung.«
Über Mercers Gesicht breitete sich langsam ein Lächeln aus.
»Fünfzig Prozent überhöht, nicht wahr?«
»Ja. Was hat das zu bedeuten?«
»Das heißt, dass wir jetzt alle unsere Helme weglegen können. Ist das nicht angenehm?«
»Ich weiß nicht«, antwortete Norton mit einer Spur des gleichen Sarkasmus in der Stimme, wie Mercer. »Es wäre ja zu schön, um wahr zu sein.« Mehr brauchte er auch nicht zu sagen. Wie alle Raumfahrer war Commander Norton von einem tiefen
Argwohn gegenüber allen Dingen erfüllt, die zu schön waren, um wahr zu sein.
Mercer öffnete seinen Helm einen Spalt weit und sog vorsichtig prüfend die Luft ein. Zum ersten Mal war auf diesem Höhenniveau die Luft zum Atmen absolut geeignet. Der tote muffige Geruch war verschwunden; desgleichen auch die hochgradige Trockenheit, die vorher zu mehreren Fällen von Atembeschwerden geführt hatte. Die Luftfeuchtigkeit betrug jetzt erstaunlicherweise achtzig Prozent; zweifellos hatte das Auftauen der See das bewirkt. Die Luft wirkte irgendwie schwül, doch dies war nicht unangenehm. Es war wie an einem lauen Sommerabend an einer tropischen Küste, sagte sich Mercer. Während der letzten paar Tage hatte sich das Klima innerhalb von Rama geradezu dramatisch verbessert...
Und warum? Die Zunahme der Luftfeuchtigkeit war kein Problem. Viel schwieriger war das überraschende Anwachsen des Sauerstoffgehalts zu erklären. Während er sich an den Abstieg machte, begann Mercer im Geiste lange Berechnungen
Weitere Kostenlose Bücher