Rendezvous mit Übermorgen
noch auf Mond und Mars verblieben. Die Kommunikation zwischen der Erde und den Kolonien war unregelmäßig und unzuverlässig geworden. Es gab auf der Erde keine Mittel mehr, um auch nur die Funkverbindung zu den fernen Siedlungen aufrechtzuerhalten. Zwei Jahre zuvor hatten die United Planets zu existieren aufgehört. Es gab also kein gemeinsames Menschheitsforum mehr, von dem aus man die Probleme der Spezies hätte angehen können; der Council of Governments, eine Art Beratende Versammlung der nationalen Erdregierungen, sollte erst fünf Jahre später entstehen. Die beiden verbliebenen Kolonien führten einen vergeblichen Kampf gegen den Tod.
Der letzte bemannte Weltraumflug von Bedeutung jener Zeit fand 2144 statt. Es handelte sich um eine Rettungsaktion unter dem Kommando einer Mexikanerin namens Benita Garcia. In einem aus Wrackteilen zusammengeschusterten Raumschiff gelang es Miss Garcia und ihrem Dreimannteam irgendwie, zur geosynchronen Umlaufbahn des havarierten Raumkreuzers James Martin vorzustoßen, dem letzten interplanetarischen Raumtransporter, der noch in Betrieb war. Sie konnten vierundzwanzig Personen des Kontingents von einhundert Frauen und Kindern retten, die vom Mars auf die Erde repatriiert werden sollten. Für jeden Historiographen der Raumfahrt stellte diese Rettungsaktion der James Martin den Schlusspunkt einer Ära dar. Sechs Monate später wurden die letzten Raumstationen aufgegeben, und nahezu vierzig Jahre dauerte es, bis wieder ein Mensch in den Erdorbit aufstieg.
Um 2145 war die in Agonie liegende Welt irgendwie zu der Erkenntnis gelangt, wie wichtig manche der internationalen Organisationen waren, die man seit dem Hereinbrechen des Großen Chaos dermaßen verleumdet und missachtet hatte. Die intelligenzbegabtesten Angehörigen der menschlichen Rasse hatten sich während der euphorischen Wohlstandsdekaden zu Beginn des Jahrhunderts vor einem persönlichen politischen Engagement gedrückt; jetzt begriffen sie mehr und mehr, dass nur durch den Zusammenschluss aller ihrer vereinten Kräfte und Fähigkeiten auf Erden jemals wieder so etwas wie »zivilisiertes Leben« geschaffen werden könnte. Anfangs waren den gigantischen Bemühungen um Zusammenwirken, die daraus resultierten, nur bescheidene Erfolge beschert; aber sie entzündeten wieder den Funken eines fundamentalen Optimismus' in der menschlichen Seele und setzten so einen Erneuerungsprozess in Gang. Langsam, entsetzlich langsam, wurden die Grundwerte der menschlichen Zivilisation wieder zurechtgerückt.
Aber es dauerte dennoch weitere zwei Jahre, ehe der allgemeine Wiederaufschwung sich in der Wirtschaftsstatistik abzeichnete. Im Jahre 2147 war das Global-Bruttosozialprodukt auf sieben Prozent des Durchschnitts von 2141 geschrumpft. In den hochentwickelten Nationen war die Arbeitslosenquote auf durchschnittlich 35% angestiegen; in manchen der sogenannten Entwicklungsländer betrug die kombinierte Ziffer der Arbeitslosen und Gelegenheitsarbeiter 90% der Bevölkerung. Man schätzt, dass allein im Schreckensjahr 2142 hundert Millionen Menschen verhungerten und starben, als in den Tropenzonen rund um den Globus große Dürre- und damit einhergehende Hungerkatastrophen auftraten. Eine astronomisch hohe Sterbeziffer aus vielerlei Ursachen und eine gleichzeitige auf ein Minimum schrumpfende Geburtenrate (denn wer wollte schon in eine dermaßen hoffnungslose Welt Kinder gebären?) führte zu einer Abnahme der Weltbevölkerung im Jahrzehnt bis 2150 von fast einer Milliarde Menschen.
Das Große Chaos hinterließ bei der ganzen Generation, die dies durchlebt hatte, unauslöschliche Wundmale. Und als die Jahre vergingen und die später geborenen Kinder heranwuchsen, sahen sie sich Eltern ausgesetzt, die ängstlich, ja geradezu von krankhaften Phobien beherrscht waren. Das Leben der Teenager in den 60er und sogar noch in den 70er Jahren des 22. Jahrhunderts unterlag strengster Reglementierung. Die Erinnerungen an die schrecklichen Traumatisierungen ihrer eigenen Jugend während der Chaos-Periode verfolgten die Elterngeneration wie ein Albtraum und veranlassten sie zu äußerst strikter Ausübung ihrer elterlichen Disziplinarrechte. Für sie war das Leben eben nicht eine vergnügliche Fahrt auf einem Jahrmarktkarussell. Es war eine todernste Angelegenheit, und nur vermittels eines Gefüges von festen Grundwerten, von Selbstbeherrschung und unerschütterlicher Hingabe an ein wertvolles Ziel hatte man eine Chance, glücklich zu werden.
Die
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