Rendezvous mit Übermorgen
Gesellschaft, die in den 70er Jahren des 22. Jahrhunderts entstand, unterschied sich drastisch von der Laissez-faire-Sorglosigkeit, die fünfzig Jahre zuvor bestimmend gewesen war. Viele altehrwürdige Institutionen - so etwa die Nationalstaaten-Idee, die römisch-katholische Kirche und die Monarchie in Großbritannien - konnten sich während dieser Interimsperiode von fünfzig Jahren einer Renaissance erfreuen. Sie blühten auf, weil sie sich rasch anzupassen wussten und Führungspositionen im Neugestaltungsprozess nach dem »Chaos« besetzten.
Gegen Ende der 70er war wieder so etwas wie Stabilität auf den Planeten zurückgekehrt, und das Interesse an der Raumforschung begann sich wieder zu regen. Die neu gegründete International Space Agency (ISA) schickte eine neue Generation von Beobachtungs- und Kommunikationssatelliten ins All. Die ISA war inzwischen als eine der Administrationen dem Council of Governments unterstellt worden. Zunächst ging man zögernd an die neuen Raumfahrtprojekte heran; die der ISA zur Verfügung stehenden Mittel waren sehr gering. Aktive Beiträge leisteten nur die technisch hochentwickelten Nationen. Als dann wieder mit bemannten Flügen begonnen wurde, die erfolgreich verliefen, plante man für das Jahrzehnt von den 90er Jahren an wieder eine bescheidene Zahl regelmäßiger Starts. Dafür wurde 2188 eine neue Space Academy eröffnet, um die Kosmonauten für die neuen Missionen auszubilden, und die ersten Absolventen standen vier Jahre später abrufbereit.
Während fast der ganzen zwanzig Jahre vor der Entdeckung von Rama II (2196) stieg das Wirtschaftswachstum auf der Erde schmerzlich langsam, aber stetig an. Technologisch gesehen, befand sich die Menschheit etwa wieder auf dem Durchschnittsniveau von 2130, als das erste Raumfahrzeug der Außerirdischen aufgetaucht war. Man hatte jetzt - begreiflicherweise sehr viel weniger Weltraumerfahrung, als der zweite Besuch aus dem All eintraf; auf bestimmten technisch kritischen Sektoren - etwa der Medizin und der Informatik und Datenverarbeitung- hatte die menschliche Gesellschaft im letzten Jahrzehnt des 22. Jahrhunderts im Vergleich zu 2130 beträchtliche Fortschritte gemacht. Aber die Zivilisationen der Erde, die der Konfrontation mit den zwei Rama-Raumschiffen ausgesetzt waren, unterschieden sich auch noch in einem anderen wesentlichen Punkt: Viele der im Jahre 2196 lebenden Menschen - und besonders solche, die schon älter waren und die entscheidenden Positionen in der Herrschaftsstruktur einnahmen - hatten wenigstens einige der sehr schmerzlichen Jahre des Großen Chaos durchlebt. Sie wussten, was Angst und Schrecken bedeuten. Und diese starken Begriffe wirkten sich bestimmend aus, als man über die Prioritäten in der Planung eines bemannten Raumflugs und einer Begegnung mit Rama II diskutierte.
6 La Signora Sabatini
»Sie arbeiteten also an Ihrem Physikdoktor an der SMU, als Ihr Mann seine berühmte Vorhersage über die Supernova 2191a machte?«
Elaine Brown saß in einem wuchtigen Polstersessel in ihrem Wohnzimmer. Sie trug einen unibraunen asexuellen Anzug mit hohem Jackenkragen. Und sie wirkte verkrampft und als wartete sie nur darauf, dass das Interview endlich vorbei sei.
»Ich war im zweiten Jahr, und David war mein Dissertationsberater«, sagte sie zurückhaltend, während sie verstohlen zu ihrem Mann hinüber schielte. Der befand sich am anderen Ende des Raums und besah sich die Sache aus der Position hinter den Kameras. »David arbeitete sehr intensiv mit seinen Doktoranden zusammen. Das war allgemein bekannt. Und es war einer der Gründe, weshalb ich für meine Abschlussarbeit SMU gewählt habe.«
Francesca Sabatini sah wundervoll aus. Die langen blonden Haare fielen ihr locker auf die Schultern. Sie trug eine teure weiße Seidenjacke und einen sorgsam geschlungenen königsblauen Schal. Die langen Hosen waren von der gleichen Farbe wie das Halstuch. Sie saß in dem zweiten Sessel. Auf dem Tischchen zwischen ihr und Elaine standen zwei Kaffeetassen.
»Dr. Brown war damals verheiratet, oder? Ich meine, in der Zeit, als er Ihr Doktorvater war.«
Elaine errötete sichtlich. Die Journalistin aus Italien behielt ihr entwaffnendes argloses Lächeln bei, als wäre die soeben gestellte Frage so harmlos wie die nach dem Resultat von zwei plus zwei. Mrs. Brown zögerte, atmete ein und gab etwas stotternd Antwort. »Anfangs ... ah .. .ja, ich glaube, war er es noch.
Aber die Scheidung war rechtskräftig, bevor ich mit meiner
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