Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rendezvous mit Übermorgen

Rendezvous mit Übermorgen

Titel: Rendezvous mit Übermorgen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arthur C. Clarke
Vom Netzwerk:
wurdest verführt«, sagte ihre Mutter. »Du musst vorsichtiger sein. Ich kann dich nur dreimal retten. Hüte dich vor dem, was deinen Augen unsichtbar ist, von dem du dennoch weißt, es ist da.« Anawi stieg in den Wagen und griff nach den Zügeln. »Du darfst nicht sterben. Ich liebe dich, Nicole.« Die geflügelten roten Rosse stiegen höher und höher, bis Nicole sie nicht mehr sehen konnte.
    Das Farbmuster kehrte in ihren Sehbereich zurück. Und sie hörte nun Musik, zuerst weit in der Ferne, dann näher. Synthetische Klänge, wie von Kristallglocken ... wunderschön, betörend, überirdisch. Es folgte lauter Beifall. Nicole saß neben ihrem Vater in der vordersten Reihe eines Konzertsaales. Auf dem Podium ein orientalisch aussehender Mann mit Haaren, die bis zum Boden reichten ... erstand mit verzückungsstarrem Blick bei drei seltsam geformten Instrumenten. Und Nicole war ganz von Klang umgeben. Sie hätte weinen mögen.
    »Komm mit«, sagte der Vater. »Wir müssen fort.« Und unter ihren Augen wurde ihr Vater zu einem Sperling. Er lächelte sie an. Auch sie schlug mit den Sperlingsflügeln, und dann waren sie in der Luft und ließen den Konzertsaal hinter sich. Die Musik verklang. Luft rauschte um sie. Nicole erblickte das liebliche Tal der Loire und sogar einen flüchtigen Augenblick lang ihre Villa in Beauvois. Es war ihr recht, dass sie heimkehrten. Doch ihr Sperlingsvater flog stattdessen weiter flussabwärts nach Chinon. Sie landeten in einem Baum auf dem Schlossgelände.
    Unter ihnen standen in der schneidenden Dezemberluft Henry Plantagenet und Eleonore von Aquitanien und stritten über die Thronfolge in England. Eleanor trat unter den Baum und entdeckte die Sperlinge. »Ja, guten Tag, Nicole«, sagte sie, »ich wusste gar nicht, dass du hier bist.« Die Königin hob die Hand und streichelte dem Vögelchen den Unterbauch. Nicole erschauderte unter der sanften Berührung. »Vergiss nicht, Nicole«, sprach die Königin weiter, »Schicksalsbestimmung ist von höherem Wert als irgendeine Liebe. Du kannst alles ertragen, solang du dir deiner Bestimmung sicher bist.«
    Dann roch Nicole den Rauch von einem Feuer und fühlte, dass sie anderwärts benötigt würden. Sie und ihr Vater flogen wieder auf und wandten sich nordwärts in die Normandie. Der Brandgeruch verstärkte sich. Sie hörten ein Schreien nach Hilfe und bewegten heftiger die Schwingen.
    In der Stadt Rouen blickte ihnen ein Mädchen entgegen. Es war unattraktiv, aber mit einem Leuchten in den Augen. Die Flammen unter ihr hatten ihre Füße erreicht, die ersten Schwaden stinkenden verbrannten Fleisches breiteten sich in der Luft aus. Das Mädchen senkte den Kopf und betete, als ein Priester ihr ein hastig zusammengestückeltes Kreuz entgegenhielt. »Süßer Jesus«, keuchte das Mädchen, und Tränen spritzten ihr aus den Augen und liefen über die Wangen.
    »Wir retten dich, Jeanne!«, rief Nicole, während sie mit ihrem Vater über dem von Menschen wimmelnden Platz niederstiegen. Sie banden Johanna vom Pfahl des Scheiterhaufens los, und sie umarmte sie. Dann explodierten rings um sie die Flammen, und alles wurde schwarz. Im nächsten Augenblick flog Nicole wieder durch die Luft - nur war sie jetzt ein herrlicher Silberreiher. Sie flog allein hoch über dem ramanischen New York. Sie driftete zur Seite, um einem der Fluggeschöpfe auszuweichen, das sie entsetzt anstarrte.
    Nicole sah alles in New York in unglaublicher Detailgenauigkeit. Es war, als sei sie plötzlich mit polyspektralen Augen ausgestattet, mit einem vielfältigen Sortiment von Linsen. Sie vermochte an vier verschiedenen Punkten Bewegungen auszumachen. Nahe bei der Scheune schleppte sich ein kentopodaler Biot langsam und mühselig auf die Südseite des Gebäudes zu. In der näheren Umgebung jeder der drei Zentral-Plazas stieg Wärme aus unter dem Boden liegenden Quellen herauf und produzierte Farbmuster im infraroten Sehbereich Nicoles. Sie schwebte kreisend auf die Scheune nieder und landete sicher wieder in ihrer Grube.

40 Eine seltsame Einladung
    Ich muss für die Rettungsaktion bereit sein , sagte sich Nicole. Sie hatte ihren Wasserbeutel mit der grünen Flüssigkeit aus dem Innern der »Manna-Melone« gefüllt. Und nachdem sie dann auch das weiche Melonenfleisch in Schnitzen in ihren vorherigen Proviantpacks verstaut hatte, setzte sie sich wieder in ihre vertraute Ecke der Grube.
    Sie kehrte in Gedanken wieder zu den Erlebnissen dieser ungezügelten Gedankenflucht zurück, die

Weitere Kostenlose Bücher