Rendezvous mit Übermorgen
einem Bild zum nächsten. Der Schluss fiel Nicole und Richard nicht schwer, dass sie sich bei einer Führung in irgendeinem Museum befinden müssten, aber sonst gab es hier nichts, was sie als gesichert annehmen durften. Nicole setzte sich am Fuß einer Seitenwand nieder. »Das Ganze macht mir ziemlich zu schaffen«, sagte sie. »Ich komme mir völlig überfordert vor und kapiere nichts.«
Richard setzte sich neben sie. »Ich auch.« Er nickte beruhigend. »Und dabei bin ich grad erst in New York angekommen. Ich muss mir also gut denken, was das alles für Sie bedeuten muss.«
Sie schwiegen eine Weile. »Wissen Sie, was mir am meisten zu schaffen macht?« Nicole mühte sich, die Hilflosigkeit, die sie empfand, irgendwie auszudrücken. »Die Erkenntnis, wie unendlich schlecht ich meine eigene Ignoranz bisher erkannt und eingeschätzt habe. Ehe ich diesen Flug mitmachte, glaubte ich so ganz allgemein erkannt zu haben, wie gewaltig der Abstand zwischen meinem persönlichen Wissen und dem Wissenspotential der Menschheit ist. Aber unsere Mission hat mir bestürzend bewusst gemacht, wie enorm klein das Gesamtausmaß menschlichen Wissens sein muss, wenn man es in Relation setzt zu dem, was an Wissen möglich wäre. Man überlege doch nur - die Summe all dessen, was sämtiche Menschen wissen oder jemals gewusst haben, stellt vielleicht nichts weiter als einen infinitesimalen Bruchteil einer >Galaktischen Enzyklopädie< dar ...«
»Es ist wirklich beängstigend«, warf Richard ein. »Aber zugleich auch enorm aufregend ... Manchmal, wenn ich in einer Buchhandlung bin oder in einer Bibliothek, überwältigt mich die Vorstellung, wie viel es gibt, was ich nicht weiß. Und dann überfällt mich das starke Verlangen, sämtliche Bücher zu lesen, eins nach dem anderen. Aber jetzt muss man sich mal vorstellen, wie das in der idealen Bibliothek wäre, die das gesammelte Wissen sämtlicher Spezies des Universums enthält... Allein wenn ich dran denke, wird mir ganz schwummrig im Kopf.«
Nicole drehte sich zu ihm um und klatschte ihm auf den Schenkel. »Schön und gut, lieber Richard«, sagte sie halb spöttisch, um den Tenor zu ändern, »nachdem wir uns nun gegenseitig bestätigt haben, wie unglaublich dumm wir sind, wie sehen unsere weiteren Pläne aus? Meiner Schätzung nach sind wir bereits einen Kilometerweit in diesen Tunnel vorgedrungen. Also, wohin jetzt weiter?«
»Ich schlage vor, wir gehen noch eine Viertelstunde in gleicher Richtung weiter. Meiner Erfahrung nach führen Tunnels immer irgendwohin. Wenn wir nichts finden, kehren wir eben um.«
Er half Nicole auf die Beine und benutzte die Gelegenheit zu einer flüchtigen Umarmung. »Alles klar, Nikki?« Er kniff ein Auge zu. »Noch eine halbe Meile voran.«
Nicole runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. »Zweimal reicht für einen Tag«, sagte sie und streckte ihm die Hand entgegen.
46 Der bessere Teil der Tapferkeit.
Das gewaltige kreisrunde Loch verschwand unter ihnen im Dunkel. Nur die oberen fünf Meter des Schachtes waren erhellt. Aus der Wand ragten etwa meterlange Metallstachel in regelmäßigen Abständen hervor.
»Da haben wir mit Sicherheit den Endpunkt des Tunnels«, brummte Richard. Es bereitete ihm einige Schwierigkeiten, diesen riesigen zylindrischen Schacht mit seiner von Stacheln besetzten Wand in sein Allgemeinkonzept von Rama zu integrieren. Gemeinsam mit Nicole war er den Perimeter zweimal abgeschritten. Sie waren sogar mehrere hundert Meter tief in den Nebentunnel vorgedrungen und hatten aus der leichten Rechtskrümmung geschlossen, dass er wahrscheinlich seinen Ausgang in der selben Höhle hatte wie der Gang, durch den sie hergekommen waren.
Richard zuckte die Achseln und sagte schließlich: »Schön. Also los!« Er setzte den rechten Fuß auf einen der Stacheln, um zu prüfen, ob er sein Gewicht tragen werde. Er war stabil. Dann senkte er das linke Bein auf den nächsten Spross darunter und stieg mit dem rechten noch eins tiefer. »Die Abstände sind fast ideal«, sagte er zu Nicole herauf. »Der Abstieg dürfte nicht zu schwer sein.«
»Richard Wakefield«, fragte Nicole vom Rand des Schachtes, »wollen Sie mir damit zu verstehen geben, dass Sie in diesen Abgrund zu klettern beabsichtigen? Und von mir erwarten, dass ich Ihnen folge?«
»Ich erwarte gar nichts von Ihnen«, gab er zurück. »Aber ich sehe auch nicht, dass es einen rechten Sinn hätte, wenn wir jetzt umkehren würden. Wie sehen denn unsere Alternativen aus?
Durch den
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