Rendezvous mit Übermorgen
blieb stehen. »Richard, das gefällt mir nicht. Wir sollten umkehren ...«
Sie hörten das Geräusch beide zugleich. Es war eindeutig hinter ihnen, wohl in der kreisförmigen Höhle, aus der sie gerade gekommen waren. Es klang wie schwere Stahlbürsten, die über Metall schleifen.
Sie drängten sich aneinander. »Das ist genau das Geräusch, das ich in der ersten Nacht in Rama auf dem Wall gehört habe«, flüsterte Richard.
Der Tunnelgang hinter ihnen bog leicht nach links. Als sie zurückblickten, waren am Rand ihres Sichtbereichs die Lichter erloschen. Als sie aber das Geräusch erneut hörten, zuckten weit entfernt gleichzeitig einige Lichter auf, was bedeutete, dass etwas sich dem Eingang zu ihrem Tunnel genähert hatte.
Nicole schoss davon. Sie schaffte die nächsten zweihundert Meter - trotz Flugdress und Rucksack - wohl in dreißig Sekunden. Sie hielt an und wartete auf Richard. Aber sie hörten das Geräusch nicht wieder, und es flammten auch keine neuen Lichter hinter ihnen am Anfang des Tunnels auf.
Als Richard sie endlich eingeholt hatte, stammelte Nicole: »Tut mir leid. Ich hab durchgedreht. Ich glaub, ich bin schon zu lange hier in diesem >Aliens Wunderlands«.«
»Himmel«, sagte Richard stirnrunzelnd, »ich hab noch nie jemanden so schnell rennen sehen.« Er lächelte. »Mach dir nichts draus, Nikki«, sagte er. »Ich hatte auch eine Scheißangst. Bloß, ich konnte mich nicht bewegen.«
Nicole atmete heftig weiter. Sie starrte Richard an. »Wie haben Sie mich da grad genannt?«, fragte sie mit leicht aggressivem Keuchen.
»Nikki«, wiederholte er. »Ich finde, es ist an der Zeit, dass ich meinen ganz persönlichen Namen für Sie habe. Gefallt er Ihnen nicht?«
Nicole verschlug es für volle zehn Sekunden die Sprache. Sie war plötzlich Millionen Kilometer und fünfzehn Jahre ihres Lebens weit weg: in einem Hotelzimmer in Los Angeles, und ihr Körper flog in den Brandungswellen der Lust. Minuten später hatte der Prinz zu ihr gesagt: »Das war buchenswert, Nikki, wahrhaft wundervoll.« In jener Nacht vor fünfzehn Jahren hatte sie Henry gebeten, sie nicht Nikki zu nennen, weil das wie ein Name für ein busenwackelndes Showgirl oder für ein Flittchen klinge.
Richard schnippte die Finger vor ihrem Gesicht. »Hallo, hallo, jemand zu Hause?« Nicole lächelte. »Aber klar, Richard. Nikki - klingt ganz prima ... solang Sie es nicht die ganze Zeit sagen.« Sie gingen langsam weiter in den Tunnel hinein. »Und wohin sind Sie da vorhin entschwunden?«, fragte Richard.
An einen Ort, in eine Zeit, von denen ich dir nie etwas erzählen werde , dachte sie versonnen. Weil wir die Summe aller unserer Erlebnisse sind. Und nur die ganz Jungen sind noch unbeschriebene Blätter und ohne Narben. Wir andern müssen für immer weiterleben mit allem, was wir jemals waren. Sie hakte sich bei Richard unter. Und sollten genug Vernunft besitzen zu wissen, wann wir das besser als ganz persönlich für uns behalten.
Der Tunnel wirkte endlos. Sie waren schon beinahe entschlossen umzukehren, als sie rechts auf einen dunklen Gang stießen. Ohne Zögern bogen sie beide dorthin ab. Sofort wurde es hell. Sie betraten eine Kammer. An der hohen Wand links befanden sich fünfundzwanzig flache rechteckige Objekte, die zu je fünf in fünf ordentlichen Stapeln aufgereiht waren. Die Wand gegenüber war leer. Sekunden nach ihrem Eintritt vernahmen sie ein hochfrequentes Winseln, das von der Decke zu kommen schien. Sie erstarrten. Aber nur kurz, denn das Geräusch hielt an, aber es gab keine weiteren Überraschungen.
Sie hielten sich bei den Händen und gingen ans Ende der langen schmalen Kammer. Die Objekte an der Wand waren Photographien und größtenteils als irgendwo in Rama aufgenommen erkennbar. Auf mehreren Bildern sah man das eindrucksvolle Oktaeder an der Zentral-Plaza. Das restliche Bildmaterial bot einen ausgewogenen Querschnitt von New Yorker Bauwerken und Weitwinkelaufnahmen von Panoramen in Rama.
Drei der Bilder faszinierten Richard besonders. Sie zeigten schlanke, stromlinienförmige Boote, die durch die Zylindersee pflügten; auf einem Photo wollte gerade eine gewaltige Woge über ein großes Boot hereinbrechen. »Na, da haben wir ja, was wir brauchen«, sagte Richard aufgeregt. »Wenn wir so eins finden könnten, hätten unsere Sorgen ein Ende.«
Das Kreischen über ihnen setzte sich mit nur sehr geringfügiger Modulation fort. Jedes mal wenn die Laute unterbrochen wurden, schwenkte ein Spotscheinwerfer von
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