Rendezvous mit Übermorgen
es und stand dicht an einem der Häuser.
»Ist das weit genug?«, hatte sie gerade gefragt, als der Deckel sich über dem Loch zu schließen begann. Sie stürzte hinzu und versuchte seine Bewegung aufzuhalten, doch er war viel zu schwer. »Richard!«, schrie sie, während das Loch vor ihren Füßen verschwand.
Sie hämmerte auf den Deckel ein. Sie erinnerte sich genau, wie deprimiert sie sich gefühlt hatte, als sie selbst in der Vogelhöhle eingesperrt gewesen war. Rasch eilte sie zu dem Gebäude zurück und drückte auf die eingelassene Platte. Aber es tat sich nichts. Es verging fast eine Minute. Angst packte Nicole. Sie rannte wieder auf die Straße und rief laut nach Richard.
»Ich bin genau hier unter dem Deckel«, antwortete er zu Nicoles beträchtlicher Erleichterung. »Ich habe an dem ersten Absatz wieder so eine Platte gefunden und natürlich drauf gedrückt. Ich glaub, die Dinger sind Kippschalter und öffnen oder schließen den Deckel, aber es kann sein, dass es da eine zeitliche Verzögerungssperre gibt. Ich brauch nur ein paar Minuten, ja? Versuchen Sie bitte nicht, den Deckel zu öffnen. Und bleiben Sie nicht zu dicht am Loch stehen.«
Nicole trat zurück und wartete. Richard behielt recht. Einige Minuten später schob sich der Deckel auf, und er kam mit einem breiten Grinsen im Gesicht aus dem Loch gestiegen. »Na, sehen Sie?«, sagte er. »Ich hab Ihnen doch gesagt, Sie sollen sich keine Sorgen machen ... Übrigens, was haben Sie denn für uns zum Lunch gekocht?«
Als sie die Rampe hinabstiegen, vernahm Nicole wieder das vertraute Geräusch fließenden Wassers. In einer kleinen Kammer, etwa zwanzig Meter von dem Absatz entfernt, stießen sie auf Rohre und eine Zisterne, die ein Gegenstück zu der in dem Vogelbau war. Sie füllten beide ihre Trinkbeutel mit dem köstlich frischen Wasser.
Außen vor der Kammer gab es keine weiteren nach beiden Seiten führende horizontale Tunnels, sondern nur eine weitere nach unten gehende Rampe, die weitere fünf Meter tiefer reichte. Richards Scheinwerferkegel kroch langsam über die dunklen Wände um die Zisternenkammer. »Da! Sehen Sie das, Nicole?« Er richtete den Strahl auf eine Stelle, an der im Baumaterial eine kaum sichtbare Veränderung auftrat. »Sehen Sie, es bildet einen Bogen.«
Sein Lichtschein beschrieb einen weiten Rundbogen auf der Wandung. »Sieht so aus, als hätte es hier mindestens zwei Bauphasen gegeben.«
»Genau«, gab er zurück. »Vielleicht hat es ebenfalls horizontale Stollen gegeben, vielleicht nur anfangs, und sie haben sie später abgeschottet.« Dann sagten sie beide während des weiteren Abstiegs nichts mehr. Die gleichförmigen Rampen führten im Zickzack abwärts, und jedes Mal, wenn sie einen neuen Absatz betraten, ging auf der nächsten Rampe die Beleuchtung an.
Sie waren schätzungsweise fünfzig Meter tief, als die Decken über ihnen zurückwichen und die Rampen in eine weite Höhle ausliefen. Der Boden dieser Höhle maß etwa fünfundzwanzig Meter im Durchmesser. Es gab vier dunkle Tunnels, fünf Meter hoch, die exakt in einer Anordnung von jeweils neunzig Grad von der Höhle abgingen.
»Ehne-Mehne-Meine-Muh ...«, sagte Richard.
»Ich plädiere mal für Muh«, sagte Nicole und strebte auf einen der Tunneleingänge zu. Als sie bis auf zwei Meter an die Öffnung gelangt war, erhellte sich der Anfang der Röhre.
Diesmal übernahm Richard die Rolle des Zögerers. Vorsichtig spähte er in den Tunnel und nahm ein paar rasche Einträge in seinen Computer vor. »Haben auch Sie den Eindruck, dass der Tunnel leicht nach rechts abweicht? Sehen Sie, dort am Ende der Lichter?«
Nicole nickte. Sie schaute ihm über die Schulter. »Ich erstelle eine Karte«, antwortete er auf ihre stumme Frage. »Theseus hatte seinen Ariadnefaden, Hänsel und Gretel immerhin Brotkrumen. Aber wir sind weit besser dran. Sind Computer nicht was Wunderbares?«
Sie lächelte. »Also, was vermuten Sie?« Sie gingen ein Stück in den Tunnel hinein. »Was erwartet uns: der Minotauros oder das Lebkuchenhaus mit der bösen Hexe?«
Dann hätten wir aber verdammtes Glück , dachte Nicole. Ihre Furcht nahm zu, während sie immer tiefer in den Gang vordrangen. Wieder erinnerte sie sich an den ersten Moment vollen Entsetzens, als der Vogel über ihr in der Grube schwebte und Schnabel und Greifklauen nach ihr ausstreckte. Ein eisiger Schauder lief ihr über den Rücken. Da ist es wieder, dieses Gefühl, dass gleich was Schreckliches passieren wird.
Sie
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