Rendezvous mit Übermorgen
auf Kennedy wieder betriebstauglich zu machen. Bis zum Dezember 2199 war der alte Spaceport zu über fünfzig Prozent wieder aufgetakelt und konnte das ständig wachsende Verkehrsaufkommen zwischen Erde und Weltraum bewältigen.
Von einem der Fenster seines Behelfsbüros aus schaute Borzow zu, wie der prachtvolle Adler wieder elegant auf sein Nest in einem der wenigen hohen Bäume des Centers zu glitt. Borzow liebte Vögel. Seit Jahren, schon seit seinen Knabenjahren in China - hatten sie ihn fasziniert. In einem seiner lebendigsten, immer wieder geträumten Träume lebte der General auf einem bezaubernden Planeten, dessen Himmel erfüllt waren von Scharen geflügelter Wesen. Er erinnerte sich noch genau, wie er seinen Vater fragte, ob in dem ersten Rama-Raumschiff irgendwelche fliegenden Bioten gewesen seien, und wie bitter ihn die negative Antwort enttäuscht hatte.
Der General hörte die Geräusche eines großen Transporters und blickte aus seinem Westfenster. Gegenüber tauchte auf einer gigantischen Plattform, die auf einer Mehrfachspur rollte, vor der Testhalle das Antriebsmodul auf, das bei den zwei New-ton-Raumfahrzeugen verwendet werden sollte. Das reparierte Modul - es war wegen eines Problems in der Ionenkontrolle noch einmal einem Test der Hilfssysteme unterzogen worden sollte am Nachmittag an Bord« eines Cargo-Shuttles gebracht und von diesem Nutzlastpendler zur Montagehalle der Raumstation LEO-2 befördert werden. Dort sollte es noch vor den abschließenden Tests des zusammengebauten Raumschiffs knapp vor Weihnachten wieder eingebaut werden. Auf LEO-2 wurden beide Newton-Schiffe laufenden letzten Überprüfungen und Tests unterzogen. Aber das gesamte Simulationstraining der Kosmonauten lief drüben in LEO-3 mit der Hilfsausrüstung ab. Die tatsächlich dann beim Flug eingesetzten Systeme in LEO-2 würden sie erst während der letzten Woche vor dem Start benutzen.
An der Südseite des Bürogebäudes hielt ein Elektrobus und spuckte eine knappe Hand voll Menschen aus. Einer der Passagiere war eine blonde Frau in einer langärmeligen gelben Tunika mit schwarzen senkrechten Streifen und schwarzen Seidenhosen. Mit lässiger Grazie schritt sie auf den Eingang zu. General Borzow bewunderte sie aus der Ferne, dann fiel ihm ein, dass Francesca ja ein erfolgreiches Mannequin gewesen war, ehe sie Fernsehjournalistin wurde. Er überlegte, was sie von ihm wollte und warum sie so hartnäckig darauf bestanden hatte, ihn noch vor dem medizinischen Briefing heute Morgen unter vier Augen zu sprechen.
Eine Minute später begrüßte er sie an der Tür zu seinem Büro. »Guten Morgen, Signora Sabatini.«
»Immer noch strikt formvollendet, General?« Sie lachte. »Auch wenn sonst keiner da ist, außer Ihnen und mir? Sie und diese zwei japanischen Knaben sind die Einzigen, die sich weigern, mich Francesca zu nennen.« Sie bemerkte, dass er sie seltsam anstarrte, und sie blickte an ihrer Kleidung hinab, ob etwas nicht in Ordnung sei. »Was ist denn?«, fragte sie nach kurzem Zögern.
»Es muss an Ihrer Jacke liegen«, sagte der General irgendwie erschrocken. »Einen Moment lang hatte ich das eindeutige Gefühl, Sie sind ein Tiger, der zum Sprung auf eine unglückselige Gazelle oder Antilope ansetzt. Es ist vielleicht das Alter. Oder mein Kopf fängt an, mir Streiche zu spielen.« Er lud sie ein, näherzutreten.
»Männer haben mir zwar früher schon mal gesagt, dass ich eine Katze bin. Aber niemand hat mich je mit einem Tiger verglichen.« Francesca sank auf den Stuhl neben dem Schreibtisch des Generals, gab ein Miauen von sich und lächelte dabei neckisch. »Ich bin weiter nichts als eine ganz harmlose neugierige alte Jungfer von Hauskatze.«
»Und das glaube ich Ihnen keine Sekunde lang!« Borzow kicherte. »Auf Sie würden ja viele Adjektive passen, Francesca, aber >harmlos< gehört bestimmt nicht dazu.« Urplötzlich schlug er einen sehr geschäftsmäßigen Ton an. »Aber, was kann ich für Sie tun? Sie sagten, Sie hätten etwas höchst Wichtiges mit mir zu besprechen, und es dulde absolut keinen Aufschub.«
Francesca zog aus dem flexiblen Portefeuille ein großes Blatt Papier und reichte es Borzow. »Das ist der Medienplan für das Projekt. Ich hab das erst gestern ausführlich mit dem Büro für Öffentlichkeitsinformation und mit den globalen Fernsehanstalten durchgesprochen. Beachten Sie bitte, dass von den geplanten tiefschürfenden Persönlichkeitsdarstellungen der Kosmonauten bisher erst fünf fertig sind.
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