Rendezvous mit Übermorgen
schließlich nicht bloß ein Doktor, Sprachwissenschaftlerin und Ex-Olympiachampion, sondern außerdem die Tochter eines berühmten Romanautors und Mutter einer vierzehnjährigen Tochter, und das, obwohl sie nie verheiratet war...«
Valerij Borzow blickte auf die Uhr. »Nur zu meiner Information«, unterbrach er sie, »wie viele Punkte haben Sie denn noch auf Ihrer Liste, wie Sie das nennen? Wir müssen nämlich in zehn Minuten im Auditorium erscheinen.« Er lächelte Francesca breit an. »Und ich fühle mich doch gezwungen, Sie daran zu erinnern, dass Madame des Jardins sich heute überwunden hat, um Ihrem Wunsch nach Medienöffentlichkeit bei diesem Briefing entgegenzukommen.«
Francesca betrachtete den General mehrere Sekunden lang eindringlich. Jetzt ist er reif, glaube ich , sagte sie sich. Und wenn ich ihn nicht völlig falsch einschätze, wird er sofort kapieren . Sie holte einen kleinen würfelförmigen Gegenstand aus ihrem Köfferchen und reichte ihn dem General über den Tisch. »Das ist der letzte Punkt auf meiner Liste, der einzige«, sagte sie.
Der Chef der Newton-Mission war verwirrt. Er schob den Würfel in der Handfläche hin und her. »Ein freier Journalist hat uns das verkauft«, sagte Francesca sehr ernst. »Wir haben die Garantie, dass es sich um die einzige existierende Kopie handelt.«
Sie schwieg, während Borzow den Kubus in die passende Öffnung seines Tischcomputers schob. Als das erste Videosegment auf dem Monitor aufleuchtete, erbleichte er sichtlich. Etwa fünfzehn Sekunden lang betrachtete er sich die wilden Ausbrüche seiner Tochter Natascha. »Ich wollte das nicht der Skandalpresse in die Hände gelangen lassen«, sagte Francesca leise.
»Wie lang ist die Aufnahme?«, fragte Borzow ruhig. »Fast eine halbe Stunde. Außer mir hat es niemand bis zum Schluss gesehen.«
General Borzow seufzte tief. Dies hatte Petra, seine Frau, ständig gefürchtet, seit man ihn offiziell zum Leiter des Newton-Projekts ernannt hatte. Der Anstaltsleiter in Swerdlowsk hatte feierlich versprochen, dass kein Reporter Zugang zu ihrer Tochter erhalten werde. Und nun gab es da ein Videoband mit einem halbstündigen Interview mit ihr. Seine Frau würde sich zu Tode kränken.
Er starrte aus dem Fenster. Er überlegte, was geschehen konnte, wie es sich auf das Projekt auswirken könnte, wenn man seine Tochter mit ihrer akuten Schizophrenie vor der Öffentlichkeit breitwalzte. Peinlich würde es sein, gewiss, das musste er zugeben, aber die Aufgabe würde dadurch keinen ernsthaften Schaden nehmen ... Der General blickte wieder zu Francesca. Er verabscheute schmuddelige Gegengeschäfte. Außerdem war er gar nicht sicher, ob nicht Francesca höchstpersönlich dieses Interview mit Natascha arrangiert und bezahlt hatte. Aber trotzdem ...
Er entspannte sich, zwang sich zu einem Lächeln. »Vermutlich müsste ich Ihnen danken«, sagte er. »Aber irgendwie erscheint mir das als nicht passend.« Er schwieg. »Vermutlich erwartet man jetzt von mir, dass ich mich irgendwie erkenntlich zeige.«
Soweit, so gut , dachte Francesca. Sie war klug genug, vorläufig den Mund zu halten.
»Also gut«, sprach der General nach einem lastenden Schweigen weiter, »ich werde das zusätzliche Simulationstraining absetzen. Es haben sich auch andere bereits darüber beklagt.« Er ließ den Datenkubus zwischen den Handflächen rollen. »Und ich komme mit Petra etwas früher nach Rom, wie Sie das bereits einmal vorgeschlagen haben, damit wir das persönliche Interview noch machen können. Und ich werde morgen die Kosmonauten insgesamt noch einmal an die Silvesterparty erinnern und ihnen erklären, dass es ihre Pflicht ist, daran teilzunehmen. Aber weder ich noch sonst jemand kann Nicole des Jardins dazu zwingen, mit Ihnen über irgendetwas außer ihrer Arbeit zu sprechen.« Er stand abrupt auf. »Und jetzt ist es wohl an der Zeit, dass wir uns zur Biometriesitzung begeben.«
Francesca hob die Hand an die Lippen und blies ihm einen Kuss zu. »Danke, Valerij!«
8 Biometrie
Als Francesca und General Borzow eintrafen, hatte das Medical Briefing bereits begonnen. Neben sämtlichen übrigen Kosmonauten waren noch fünfundzwanzig, dreißig Techniker und Wissenschaftler zusätzlich anwesend, die mit dem Projekt zu tun hatten. Vier Zeitungsberichterstatter und ein TV-Team vervollständigten die Versammlung. Nicole des Jardins, wie üblich in ihrem grauen Flugdress, stand am Kopfende des kleinen Konferenzraumes. Sie hielt einen Laserzeiger in
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