Rendezvous mit Übermorgen
Kameraausrüstung abzunehmen, während sie auf das Personentransportband zuschritten, das sie zu ihrem Hotel bringen sollte. »Stört das nicht manchmal?«, fragte er. Sie schaute ihn spöttisch an. »Das ständige Aufsehen, der Starrummel?«, fügte er hinzu.
»Nie«, gab sie zurück. »Natürlich nicht.« Sie lächelte in sich hinein. Auch nach sechs Monaten begreift dieser Mann mich noch immer nicht Vielleicht ist er ja zu stark mit seinem eigenen Ego beschäftigt, als dass er sich vorstellen könnte, dass es immerhin ein paar Frauen gibt, die ebenso ehrgeizig sind wie Männer.
»Ich weiß natürlich, dass Ihre zwei TV-Serien erfolgreich waren«, sagte Reggie gerade, »ehe ich über die Personalrasterroutine Ihre Bekanntschaft machte, wusste ich das schon. Aber ich hätte mir niemals vorstellen können, dass es unmöglich sein würde, ein Restaurant zu besuchen oder irgendwo in der Öffentlichkeit zu erscheinen, ohne dass einem einer Ihrer Fans in den Weg läuft.«
Reggie plapperte unentwegt weiter, während das Laufband ruhig aus dem Bahnhof und zum Einkaufszentrum hinüberglitt. Am einen Ende der überdachten Galeriepassage drängte sich eine dichte Menschengruppe am Transportband vor dem Eingang zu einem Theater. Die Leuchtschrift darüber besagte, dass heute In Any Weather gespielt wurde, ein Stück des amerikanischen Autors Linzey Olsen.
»Haben Sie das mal gesehen?«, fragte Reggie beiläufig. »Ich hab nur den Film gesehen, vor fünf Jahren«, redete er weiter, ohne auf ihre Antwort zu warten. »Helen Caudill und Jeremy Temple. Bevor sie richtig groß rauskam. Eine seltsame Geschichte über zwei Leute, die gezwungen sind, bei einem Schneesturm in Chicago ein Hotelzimmer zu teilen. Beide sind verheiratet. Und sie verlieben sich ineinander, während sie über ihre enttäuschten Liebeserwartungen reden. Wie gesagt, ein abstruses Stück.«
Francesca hörte ihm nicht zu. An der ersten Haltestelle im Einkaufszentrum war ein Junge, der sie an ihren Cousin Roberto erinnerte, in den Wagen direkt vor ihnen gestiegen. Sein Teint und seine Haare waren dunkel, die Gesichtszüge zart. Wie lang hab ich Roberto jetzt nicht gesehen?, überlegte sie. Das muss drei Jahre her sein. Drunten in Positano mit seiner Frau Maria. Francesca seufzte, als sie sich an noch frühere, langentschwundene Tage erinnerte. Sie sah sich selbst lachend durch die Straßen von Orvieto laufen. Neun war sie, oder zehn, und noch unschuldig und unverdorben. Roberto war vierzehn. Sie spielten auf der Piazza vor dem Dom mit einem Fußball herum. Wie hatte sie es genossen, ihren Vetter Roberto zu necken. Er war so sanft, so natürlich. Roberto war die einzige gute, saubere Erinnerung an ihre Kindheit.
Der Personentransporter hielt vor dem Hotel. Reggie blickte sie starr an. Intuitiv begriff Francesca, dass er sie gerade etwas gefragt hatte. »Also?«, sagte er, als sie aus ihrem Wagen stiegen.
»Tut mir leid, mein Lieber«, sagte sie. »Ich war mal wieder in einem Tagtraum. Was haben Sie gesagt?«
»Mir ist nicht bewusst geworden, dass ich Sie langweile«, sagte Reggie humorlos. Er wandte sich ihr mit dramatischer Gestik zu, um sie zur Aufmerksamkeit zu zwingen. »Was würden Sie heute Abend zum Dinner vorziehen? Ich hab schon mal eine Vorauswahl gemacht: chinesische oder Cajun-Küche ...«
Die Vorstellung, mit Reggie zu Abend zu essen, hatte in diesem Moment nichts Verlockendes für Francesca. »Ich bin heut Abend sehr müde«, sagte sie. »Ich glaube, ich werde nur einen Happen in meinem Zimmer essen und danach ein bisschen arbeiten.« Den Ausdruck der Verletztheit auf seinem Gesicht hätte sie voraussagen können. Sie küsste ihn flüchtig auf den Mund. »Du kannst ja gegen zehn zu einem Schlummertrunk bei mir vorbeischauen.«
In ihrem Zimmer schaltete Francesca sofort ihr Computerterminal ein, um eventuelle Nachrichten abzurufen. Es waren insgesamt vier. Der Vorcheck-Ausdruck verriet ihr, von wem die Nachricht stammte, wann sie übertragen wurde, wie lang sie war und welche Dringlichkeitspriorität indiziert war. Dieses Urgency Priority System war eine neue Serviceleistung von International Communications, Inc., einem der drei noch existierenden Kommunikationsriesen, die nach drastischen Konsolidierungsschrumpfungen um die Jahrhundertmitte endlich wieder Aufwind bekommen hatten. Der UPS-Kunde gab frühmorgens seinen Tagesplan ein und bestimmte, welche jeweiligen Prioritätsnachrichten welche Aktivitäten unterbrechen durften. Francesca
Weitere Kostenlose Bücher