Rendezvous mit Übermorgen
innen fuhr und in die große Zentralebene hinausblickte und die langen Leuchtstreifen sah, die den »Tag« in Rama bewirkten; oder als er neben dem Rover am Rand des Zylindermeeres stand und durch das Fernglas die wundersamen Wolkenkratzer New Yorks betrachtete; oder wenn er immer wieder, wie alle die übrigen Kosmonauten vor ihm, die gigantischen Horner und Streben anstarrte, die in der südlichen Kuppelschale prangten. Aber vor allem war er von heftigen Gefühlen der andächtigen Ehrfurcht erfüllt, ganz so wie damals, als er zum ersten Mal in eine der alten Kathedralen in Europa trat.
Die Rama-Nacht verbrachte er im Beta-Camp und bezog eine der Extra-«Hütten«, die die Kosmonauten bei der zweiten Exkursion zurückgelassen hatten. Er entdeckte die Nachricht, die Wakefield zwei Wochen zuvor hinterlassen hatte, und hatte kurz den heftigen Impuls, das Segelboot zusammenzubauen und nach New York hinüberzuskippern. Doch er zügelte sich und konzentrierte sich auf den eigentlichen Zweck seines Besuchs.
Er gestand sich ein, dass Rama gewiss eine spektakuläre technische Großleistung sei, dass jedoch die Großartigkeit nicht der entscheidende Faktor bei seiner, O'Tooles, Bewertung sein dürfe. Aber - hatte er etwas gesehen, das ihn veranlassen konnte, seine zaudernde Schlussfolgerung zu korrigieren? Nein, gab er sich widerstrebend selbst zur Antwort. Als in dem Riesenzylinder die Lichter wieder angingen, war er gewiss, dass er vor Einbruch der nächsten Rama-Nacht seinen Zündungscode in die Atomwaffen eingeben werde.
Dennoch schob er es noch immer hinaus. Er fuhr die ganze Küstenstrecke ab, studierte New York und die übrigen Perspektiven von verschiedenen Aussichtspunkten aus und observierte besonders das fünfhundert Meter hohe Kliff am anderen Ufer der See. Beim letzten Durchgang durch das Beta-Camp entschloss er sich, ein paar Sachen - darunter einige persönliche Erinnerungsstücke - zusammenzupacken, die von den anderen Besatzungsmitgliedern bei ihrem überstürztem Rückzug aus Rama zurückgelassen worden waren. Der Hurrikan hatte nicht viel heil gelassen, doch fand er immerhin ein paar Souvenirs, die im Schutz von Winkeln zwischen den Vorratskästen überdauert hatten.
Der General legte eine ausgedehnte Ruhepause ein, ehe er im Rover zur Talstation des Sessellifts zurückfuhr. Im Bewusstsein dessen, was er tun musste, sobald er wieder an Bord der Newton war, kniete OToole nieder und betete ein letztes Mal, ehe er den Sessellift bestieg. Kurz nach Beginn seiner Himmelfahrt, er befand sich erst knapp einen halben Kilometer oberhalb der Zentralebene, drehte er sich auf dem Sitz um und schaute in das Rama-Panorama zurück. Bald ist dies alles dahin, dachte er. Zerschmolzen in einem Sonnenfeuerofen, den der Mensch gezündet hat. Er hob die Augen von der Ebene und spähte nach New York hinüber. Und da glaubte er im Ramahimmel einen schwarzen Fleck zu sehen, der sich bewegte.
Mit zitternden Händen hob er den Feldstecher an die Augen. Bald hatte er den beweglichen Fleck vergrößert vor Augen. Hastig verstellte er die Auflösung, und der Fleck vergrößerte sich und wurde zu drei Vögeln, die in weiter Ferne in Formation dahinsegelten. OToole blinzelte, aber das Bild veränderte sich nicht. Das waren wahrhaftig drei Vögel und flogen durch den Himmel Ramas!
In ihm brandete Freude auf. Er schrie und jauchzte vor Entzücken, während er den Flug der Vögel verfolgte, bis er sie nicht mehr sehen konnte. Die restliche halbe Stunde Fahrt bis zum Alpha-Gipfel kam ihm endlos lange vor.
Er wechselte sofort in einen anderen Sitz und fuhr wieder nach Rama hinein. Er hatte das verzweifelte Verlangen, diese Vögel noch einmal zu sehen. Wenn ich sie irgendwie fotografieren könnte , dachte er und überlegte, dass er nötigenfalls eben ans Zylindermeer zurückfahren würde, dann könnte ich der ganzen Welt beweisen, dass es in dieser erstaunlichen Fremdwelt auch Lebewesen gibt.
Etwa zwei Kilometer über der Bodenstation begann er wieder nach den Vögeln Ausschau zu halten. Vergeblich. Das entmutigte ihn nur wenig. Doch was er dann sah, als er das Fernglas sinken ließ, um sich für das Absteigen von seinem Liftsitz bereitzumachen, das wirkte wie ein betäubender Schlag auf ihn: Da standen Seite an Seite am Fuß des Seillifts Richard Wakefield und Nicole des Jardins.
OToole riss die beiden in seine Arme und drückte sie heftig. Dann kniete er mit tränenüberströmten Wangen noch einmal auf dem Boden Ramas nieder.
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