Rendezvous mit Übermorgen
den amerikanischen General. Es wurden sogar Forderungen laut, man solle ihn an Bord der Newton vor ein Kriegsgericht stellen und exekutieren - wegen Befehlsverweigerung. Ein Leben voll bedeutender Erfolge und selbstlosen Einsatzes waren vergessen. Kathleen OToole sah sich gezwungen, die Wohnung der Familie in Boston zu verlassen und bei Freunden in Maine Zuflucht zu suchen.
Der General litt Folterqualen in seiner Entschlussunfähigkeit. Ihm war bewusst, dass er durch seine Weigerung seiner Familie und seiner Karriere nicht wieder gutzumachende Schäden zufügte. Doch jedes Mal wenn er sich beschwatzt hatte und glaubte, er sei nun doch bereit, den Befehl auszuführen, hallte ihm wieder dieses laute dröhnende »Nein« durch den Kopf.
Bei dem letzten Interview mit Francesca, einen Tag bevor das wissenschaftliche Schiff ablegte, um zur Erde zurückzukehren, wirkte er nur teilweise geistig klar. Sie stellte ihm ein paar sehr brutale Fragen. Etwa: Wenn Rama auf einen Erd-Orbit gehen wollte, wieso hatte es dann noch kein Deflexionsmanöver vorgenommen? Hier richtete sich der General plötzlich auf und war ganz da und erinnerte sich daran, dass die Luftbremsung-die Ableitung von Energie in Form von Hitze in die Atmosphäre - die effizienteste Methode sei, um bei einem von einer Atmosphäre umgebenen Planeten auf eine Umlaufbahn zu gelangen. Doch als sie ihm die Chance bot, seine Erläuterungen zu ergänzen und zu erklären, wie Rama möglicherweise eine Gestaltveränderung mit günstigeren aerodynamischen Konturen durchführen könnte, gab OToole keine Antwort mehr. Er starrte sie nur desinteressiert an.
Zum Abschiedsdinner, ehe Brown, Sabatini, Tabori und Turgenjew tags darauf nach Hause flogen, tauchte OToole aus seinem Quartier auf. Und seine Anwesenheit ruinierte das letzte Abendmahl. Irina war besonders ekelhaft zu ihm, stichelte giftig und weigerte sich schließlich, mit ihm am selben Tisch zu sitzen. David Brown ignorierte ihn völlig und zog es vor, mit quälender Detailinsistenz über das Laboratorium zu sprechen, das man gerade in Texas für den eingegangenen Krebs-Bioten baute. Einzig Francesca und Janos waren freundlich zu ihm. Und so begab sich OToole sofort nach dem Essen - und ohne sich von irgendwem formell zu verabschieden - in sein Quartier zurück.
Am nächsten Morgen, nicht ganz eine Stunde nach dem Abflug des Wissenschaftlerschiffs, rief OToole Admiral Heilmann an und bat um ein Gespräch in dessen Räumen. »Also haben Sie sich doch anders entschieden?«, fragte der Admiral aus Deutschland aufgeregt, als OToole bei ihm eintrat. »Das ist gut. Noch ist es nicht zu spät. Wir sind erst in I -12 Tagen. Wenn wir uns beeilen, können wir die Bomben immer noch an I - 9 zur Zündung bringen.«
»Ich komme der Lösung allmählich näher, Otto«, antwortete OToole, »aber ich hab sie noch nicht. Ich habe über das alles sehr, sehr gründlich nachgedacht. Und da ist zweierlei, was ich vorher noch tun möchte. Ich möchte mit Papst Johannes Paul sprechen, und ich will hineingehen und mir Rama mit eigenen Augen anschauen.«
Die Antwort ließ Heilmanns Begeisterung verpuffen. »Mist«, sagte er. »Also fangen wir wieder von vorne an. Wahrscheinlich werden wir...«
»Sie haben nicht verstanden, Otto«, sagte OToole und blickte sein Gegenüber fest an. »Das ist eine erfreuliche Botschaft - jedenfalls für Sie. Vorausgesetzt, es geschieht nicht etwas völlig Unvorhersehbares bei meinem Gespräch mit dem Papst oder während meiner Rama-Exkursion, bin ich bereit, in derselben Minute, in der ich wieder rauskomme, meinen Code einzugeben.«
»Sie - sind sich ganz sicher?«, fragte Heilmann.
»Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort«, sagte OToole.
Der General erlegte sich bei seinem langen und gefühlsgeladenen Gespräch mit dem Papst keinerlei Zwang auf. Ihm war klar, dass es abgehört wurde, doch das war jetzt nicht mehr von Bedeutung. Ihn trieb nur noch ein einziger Gedanke um, ein allerwichtigster: Wie kann ich reinen Gewissens diese Atomwaffen aktivieren.
Er wartete ungeduldig. Als Seine Heiligkeit, Papst Johannes Paul V., endlich auf dem Bildschirm erschien, saß er in dem gleichen Gemach im Vatikan, in dem er O'Toole kurz nach Weihnachten in Audienz empfangen hatte. In der rechten Hand hielt der Papst einen kleinen elektronischen Notizblock, auf den er beim Sprechen ab und zu einen Blick warf.
»Ich war in meinen Gebeten bei Ihnen, mein Sohn«, hob der Pontifex in seinem präzisen Englisch zu sprechen an. »Ganz
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